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der
Metaphysik
. Aristoteles beschäftigt sich mit dem Substanzbegriff ausführlich in den Kapiteln 7 bis 9, die von den Fachleuten auch als
»Substanzabhandlung« bezeichnet werden.
Wenn wir von einem Gegenstand sagen, dass er »ist«, so meinen wir nach Aristoteles keineswegs immer dasselbe. In dem Satz
»Peter ist in Wirklichkeit Paul« dient das »ist« dazu, eine Identifikation herzustellen. In dem Satz »Es ist wirklich so,
wie du sagst« benutzenwir das »ist«, um die Wahrheit eines Sachverhalts zu bekräftigen. In dem Satz »Etwas ist kahl« wiederum dient uns das »ist«
dazu, einem Gegenstand bestimmte Eigenschaften zuzusprechen.
Im Mittelpunkt der Betrachtungen der
Metaphysik
steht gerade jenes »Etwas«, dem man zwar Eigenschaften zuspricht, das aber selbst mehr ist als ein Bündel von Eigenschaften.
Die Verwendungsweise von »ist«, die Aristoteles deshalb am meisten interessiert, ist die, wenn wir sagen: »Dieses große dunkle
Etwas vor meinem Fenster ist eigentlich ein Baum.« Ein Baum wird nicht dadurch zu einem Baum, dass er grüne Blätter oder einen
dicken Stamm hat. Bäume können auch dünne Stämme haben und kahl sein. Wir müssen also unterscheiden zwischen den wechselnden
Eigenschaften eines Gegenstandes und seinem Wesenskern. Genau dieser Wesenskern ist es, auf den das eigentlich wichtige »ist«
abzielt. Aristoteles nennt ihn »Substanz«, die wechselnden Eigenschaften wie »kahl« oder »grün« hingegen nennt er »Akzidentien«.
Wir können also sagen: Etwas »ist« im eigentlichen Sinne, wenn es Substanz ist. Die Substanz bezeichnet ein selbstständiges,
von anderen Dingen getrennt existierendes Ding, das wechselnde Eigenschaften hat, aber selbst immer mit sich identisch bleibt.
Ein Baum bleibt ein Baum, ob er grünt oder nicht. Nur im Märchen ist der Prinz einmal ein Mensch und ein andermal ein Frosch.
Wir sprechen von dem »Seienden«, so Aristoteles, zwar in verschiedener Bedeutung, aber im Hinterkopf haben wir immer die Substanz,
jenes wahre Seiende, zu dem die anderen Formen des »ist« in einer Art Analogie stehen. Die Substanz ist auch genau jenes »Etwas«,
auf das wir alle möglichen Arten von »ist« beziehen können.
Aber was ist dieses Wesentliche eigentlich, das Aristoteles »Substanz« nennt? Der Leser sei vorgewarnt: Die Diskussion darüber
ist bis heute nicht beendet. Zwei Aspekte lassen sich bei dem Begriff »Substanz« unterscheiden: ein konkreter und ein etwas
allgemeinerer. Substanz ist zum einen das konkrete Ding, der Baum, der vor meinem Fenster steht, dessen Alter ich kenne und
der für mich immer der gleiche Baum bleibt, ob er kahl ist oder grünt.
Gleichzeitig ist mit der Substanz aber auch etwas gemeint, dasmein konkreter Baum mit allen anderen Bäumen gemeinsam hat. Substanz ist, wie Aristoteles sich ausdrückt, das »tò tí ên eînai«,
das »Wesenswas« eines Dinges. Es ist das, was den Baum zu einem Baum macht. Dies drückt sich in dem Allgemeinbegriff »Baum«
aus, der sich auf alle Bäume anwenden lässt. Wenn wir von »Baum« sprechen, ohne auf einen konkreten Baum zu verweisen, meinen
wir die Art, die Gattung »Baum«. Die Griechen benutzten dafür den Begriff »eidos«. Es ist genau jener Begriff, mit dem Platon
die »Idee« bezeichnet hatte. Es ist auch der Begriff, den Aristoteles für »Form« benutzt, für die Gestalt, die uns vor Augen
steht, wenn wir uns einen Baum vorstellen.
Genau an dieser Stelle kommen Formursache und Zweckursache wieder ins Spiel. Für Aristoteles lassen sich nämlich der konkrete
und der allgemeine Aspekt des Substanzbegriffs miteinander verbinden. Die Substanz ist auch ein irdisches Kind der platonischen
Idee, indem sie nicht nur ein konkretes Ding, sondern auch die Gestalt meint, die alle Exemplare einer bestimmten Art und
Gattung gemeinsam haben. Der Begriff, den Aristoteles für »Substanz« verwendet, ist »ousia«, im Deutschen meist mit »Wesen«
oder »Wesenheit« übersetzt. Es ist aber auch der Begriff, den er für die Formursache benutzt, die deshalb auch »Wesensursache«
genannt wird. »Ousia«, die Substanz, manifestiert sich in der Form, im »eidos«.
Die Substanz ist das wahrhaft Seiende, das immer unverändert und mit sich identisch bleibt, das aber nicht mehr in einer abstrakten,
von den natürlichen Dingen entfernten Welt, sondern in den natürlichen Dingen selbst zu finden ist. Damit hatte sich das in
der platonischen Akademie diskutierte
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