Das neue Philosophenportal
die
Selbstbetrachtungen
Ergebnis einer authentischen Orientierungsbemühung sind, haben sie viele vergessen lassen, dass ihr Verfasser einer der mächtigsten
Menschen seiner Zeit war. Doch vielleicht hat sich in Marc Aurel das Ideal des Philosophenkönigs, wie der griechische Philosoph
Platon es in seinem Hauptwerk
Der Staat
propagiert hatte, auf eine sehr eigene Art verwirklicht.
Auf das Ziel, höchste Staatsämter auszuüben, wurde der junge römische Aristokratensohn schon früh vorbereitet. Sein Urgroßvater
Annius Verus war aus der Provinz Baetica, dem heute spanischen Andalusien, nach Rom übergesiedelt, um in der karrierefördernden
Nähe des Machtzentrums zu leben. Sein Sohn gleichen Namens, der Großvater Marc Aurels, erwies sich als der erfolgreiche Strippenzieher
der Familie: Selbst dreimal Konsul, schaffte er es, durch geschickte Verheiratung seiner Kinder die Familie in den Fokus des
kaiserlichen Hofes zu bringen. Einer seiner Söhne heiratete Domitia Lucilla, die mit dem amtierenden Kaiser Hadrian verwandt
war. Im Jahr 121 brachte sie, im Alter von 14 Jahren, ihren ersten Sohn Catilius Severus auf die Welt. Erst durch spätere Adoptionen erhielt er den Namen Marcus Aurelius,
unter dem wir ihn heute kennen.
Marc Aurel besuchte nie eine öffentliche Schule oder Universität,sondern wurde von gut bezahlten, von seinem Großvater engagierten Hauslehrern unterrichtet. In den ersten Lebensjahren waren
dies in der Regel Sklaven oder sogenannte »Freigelassene«, also ehemalige Sklaven, denen man nach verdienstvoller Arbeit die
Freiheit gegeben hatte. Durch einen solchen Freigelassenen, Diognetos, machte Marc Aurel erste Bekanntschaft mit der Philosophie.
Auch der Grieche Epiktet, ein Vertreter der stoischen Schule, der mit seinem
Handbüchlein der Moral
und seinen
Unterredungen
großen Einfluss auf Marc Aurel ausüben sollte, war ein Freigelassener.
Die Philosophie regte den jungen Marc Aurel dazu an, wie es in den
Selbstbetrachtungen
heißt
,
»ein Feldbett mit Fell« zu begehren »und was dergleichen mit der griechischen Lebensweise zusammenhängt«. Er identifizierte,
wie viele Römer, Philosophie mit den griechischen Denktraditionen. Diese hatten in römischer Zeit aber eine besondere, nämlich
lebenspraktische Färbung angenommen. Die meisten römisch-hellenistischen Philosophenschulen empfahlen eine vernunftbestimmte
Lebensform, die eine Beschränkung auf die wirklich notwendigen Bedürfnisse forderte. Vorbild war die Figur des 399 v. Chr. hingerichteten Sokrates, der nie eine Schrift verfasst und ausschließlich durch seine Persönlichkeit und seine Gesprächskunst
gewirkt hatte. Die Philosophenschule der Kyniker, die sich auf Sokrates berief, lehnte sogar jede Theorie ab und verstand
Philosophie ausschließlich als bedürfnislose und selbstgenügsame Lebenspraxis. Die Stoiker als die im Römischen Reich einflussreichste
Schule nahmen wiederum viele Einflüsse der Kyniker in ihre Lehre auf.
Fasziniert von der Welt der Bücher, wusste der junge Marc Aurel dennoch von frühem Alter an, dass er auf hohe politische Ämter
vorbereitet wurde. Der Weg nach oben wurde ihm nicht nur durch seine Herkunft, sondern vor allem durch die im römischen Kaisertum
übliche Adoptionspraxis geebnet.
Die Adoption des gewünschten Nachfolgers war ein von römischen Kaisern häufig benutztes politisches Instrument, wenn eigene
Nachkommen ausblieben. So adoptierte Kaiser Hadrian kurz vor seinem Tod einen Onkel Marc Aurels, Antonius Pius, mit der Auflage, dass dieser wiederum Marc Aurel adoptiere. Dieser hatte bereits eine Adoption durch seinen Großvater hinter sich, der an
die Stelle seines früh verstorbenen Vaters getreten war. Auf diesem Weg wurde Antonius Pius im Jahr 138 neuer Kaiser und Marc
Aurel sein designierter Nachfolger.
Als solcher hatte er sich auf seine Rolle als künftiger Kaiser vorzubereiten. Doch in den 23 Jahren, in denen Marc Aurel ein Herrscher im Wartestand war, blieb ihm genügend Zeit zur Lektüre und Weiterbildung. Von seinem
18. Lebensjahr an stand zunächst die Rhetorik im Mittelpunkt seiner Ausbildung. Sie galt in der Antike als Grundlagenwissenschaft
und vermittelte nicht nur stilistisches Handwerkszeug, sondern auch allgemeine literarische Bildung. Seine Lehrer waren zwei
renommierte Intellektuelle, Cornelius Fronto und Herodes Atticus. Besonders Fronto, zu dem der junge Marc Aurel ein enges
persönliches Verhältnis
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