Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege
hat sich endlich der Nebel der Verwirrung gelichtet, die Menschen suchen nach Alternativen. Allerdings außerhalb der existierenden politischen Parteien, die sich durchgehend als nutzlos erwiesen hatten. Die aktuellen Proteste unterscheiden sich insofern von denen früherer Jahre, als sie in Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit und trüber Zukunftsaussichten stattfinden. Eine Mehrheit der Jugendlichen im Westen wird – auch wenn dreist immer wieder das Gegenteil behauptet wird – kein Studium machen können, weil es unbezahlbar für sie ist, und eine Zwei-Klassen-Medizin erleben. Die kapitalistische Demokratie von heute beruht darauf, dass die wichtigsten Parteien im Parlament sich grundsätzlich einig sind. Ihre Zänkereien und »Kompromisse« sind im Grunde völlig unerheblich. In anderen Worten: Die Bürger bestimmen nicht mehr, wer den Reichtum eines Landes kontrolliert – auch wenn die Bürger ihn zum Großteil selbst erarbeitet haben.
Zentrale Fragen zur Allokation von Ressourcen, zur Form des Sozialstaats und zur Verteilung des Reichtums werden in den Parlamenten nicht mehr wirklich diskutiert. Wie kann es da verwundern, dass die jungen Leute mit der herkömmlichen Politik nichts anfangen können und von Obama und seinen Nachäffern in aller Welt bitter enttäuscht sind? Grundsätzliche Unzufriedenheit mit dem System trieb die Anhänger der Occupy-Bewegung in über 90 Städten auf die Straße. Nie haben die Politiker eingestanden, dass die Krise von 2008 durch die neoliberale Politik ausgelöst wurde, die sie seit den 1980ern verfolgt hatten. Selbst nach 2008 glaubte die Politikerkaste, einfach so weitermachen zu können wie bisher. Doch die Bewegung von unten lässt das nicht zu. Die Besetzungen und die Demonstrationen gegen den Kapitalismus ähneln in gewisser Weise den Bauernaufständen früherer Jahrhunderte. Unerträgliche Zustände führten zu Revolten, die dann entweder niedergeschlagen wurden oder von selbst wieder versandeten. Aber die Unruhen waren oft Vorboten der Zukunft: Wenn sich die Dinge nicht ändern, werden die Menschen weiter auf die Straße gehen. Keine Bewegung kann ohne eine permanente demokratische Struktur überleben, die politische Kontinuität sicherstellt. Je größer ihre Unterstützung im Volk, desto dringender braucht eine Bewegung eine Organisationsform.
In dieser Hinsicht kann man viel von den südamerikanischen Rebellen gegen den Neo-Liberalismus und seine globalen Institutionen lernen. Die gewaltigen und erfolgreichen Proteste gegen den IWF in Venezuela, gegen die Privatisie rung der Wasserversorgung in Bolivien und der Strom versorgung in Peru schufen die Basis für eine neue Politik, die an den Wahlurnen triumphierte, nicht nur in Venezuela und Bolivien, sondern auch in Ecuador und Paraguay. Kaum gewählt, packten die neuen Regierungen die versprochenen sozialen und wirtschaftlichen Reformen an (allerdings nur mit durchwachsenem Erfolg). Professor H. D. Dickinson riet der britischen Labour Party 1958:
»Wenn der Wohlfahrtsstaat überleben soll, braucht der Staat eine Einnahmequelle. Dafür kommen meiner Ansicht nach nur Profite aus Staatsbetrieben infrage. Der Staat muss sich auf die eine oder andere Art einen großen Teil des Bodens und des Kapitals einer Nation sichern. Diese Maßnahme mag zwar nicht populär sein, doch sie ist unvermeidlich: Nur sie ermöglicht verbesserte Sozialleistungen – und die sind dann wieder populär. Man kann nicht den Konsumsektor verstaatlichen, ohne zuvor den Produktionssektor verstaatlicht zu haben.«
Die Labour Party schlug den Rat damals aus, doch die Staatsmänner der Bolivarischen Allianz ALBA in Venezuela und Bolivien befolgten ihn ein knappes halbes Jahrhundert später, mit Erfolg. Dennoch tun die Regierungschefs des Westens solche Ideen nach wie vor als Utopien ab. Aber sie liegen falsch. Denn genau diese Strukturreformen braucht es, keine panischen Sparanstrengungen wie in Griechenland. Was Athen plant, führt geradewegs ins Elend, in Massenarbeitslosigkeit und soziales Desaster. Wir benötigen einen radikalen Kurswechsel, an dessen Anfang das Eingeständnis steht, dass der Turbokapitalismus nicht funktioniert hat, nicht funktionieren konnte und deswegen abgeschafft gehört. In Großbritannien verfolgte die politische Elite seit Maggie Thatcher mit dem Eifer von Konvertiten einen extremen Kurs, bei dem gnadenlos und kaltblütig alles dem Markt als letzter Entscheidungsinstanz überlassen wurde. Wenn die Regierung diesen Kurs
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