Das Opfer
freuen.
Sie wusste, dass er sich nicht bei ihr melden würde.
»Na, wie gefällt dir meine Hütte?«
»Sehr!«
Und wie ihr diese »Hütte« gefiel! Karas Haus lag idyllisch am Flussufer in einem abgelegenen Winkel der Villensiedlung Pinienhain , war ausgesprochen großzügig dimensioniert und ein architektonisches Schmuckstück. Es hatte weiß getünchte Wände, ein dunkelrotes Ziegeldach und große Fenster. Außerdem verfügte es über eine Doppelgarage, einen Wintergarten und einen separaten Flügel für das Dienstpersonal.
Eine so luxuriöse Villa hatte Larissa in ihrem ganzen Leben noch nicht betreten, und während des Rundgangs durch die Räumlichkeiten hatte sie mehrmals das Gefühl beschlichen, sie befinde sich in einem Palast.
»Sie haben ein fantastisches Haus! Ein richtiges Juwel! «, schwärmte die junge Frau.
»Du, nicht Sie …«, verbesserte sie Kara. »Wir haben doch ausgemacht, dass wir uns duzen.«
»Entschuldige. Du hast wirklich ein großartiges Haus.«
»So ein Haus könntest du auch haben.«
»So eines?«
»Oder ein noch schöneres«, erwiderte Kara mit hochgezogenen Schultern. »Weißt du, ich habe diese Hütte auf die Schnelle gebaut, weil ich möglichst bald einziehen wollte. Wenn du dir genug Zeit lässt, kannst du noch viel mehr ins Detail gehen.«
»Das wäre ein Traum.«
Larissa strich mit der Hand über die samtbezogene Lehne des Sofas und trank einen Schluck Wein aus dem Kristallglas.
»Dann erfülle ihn dir!« Aus ihren riesigen, veilchenblauen Augen sah Kara die junge Frau aufmunternd an. »Die Natur hat dir bemerkenswerte Fähigkeiten mitgegeben. Du musst nur lernen, sie richtig einzusetzen, dann kannst du dir jeden Wunsch erfüllen.«
»Da muss ich aber noch viel lernen.« Larissa stellte ihr Glas auf dem Wohnzimmertisch ab, stand auf und ging zur Wand, wo in einem Bilderrahmen eine Urkunde hing: »Goldbergschule. Diplom. Hiermit wird beurkundet, dass …«
»So einen Wisch bekommst du auch«, beruhigte die Hexe die junge Frau. »Um die klassischen Grundlagen kommst du nicht herum. Du wirst den gesamten Ausbildungszyklus der Zaubereischule absolvieren – aber das schaffst du mit links.«
»Wenn du das sagst …«
Larissa war erleichtert. Sie kehrte zum Sofa zurück und setzte sich wieder. Die Bekanntschaft mit dieser Frau war ein Geschenk des Schicksals. Kara redete nicht um den heißen Brei herum, sie stellte keine überflüssigen Fragen nach ihren Eltern oder nach ihren Fähigkeiten, sondern packte den Stier sofort bei den Hörnern: Du hast außergewöhnliches Talent, Mädchen, und ich möchte dir helfen, aus diesem Talent etwas zu machen, einverstanden? Einverstanden. So einfach war das. Auf die Frage, woher sie überhaupt von ihr wisse, hatte Kara nur listig gegrinst und geantwortet: Was für eine Frage, Mädchen, ich bin doch eine Zauberin!
Larissa trank einen Schluck von dem nach Brombeeren duftenden Wein und musste unwillkürlich schmunzeln. Diese Kara hielt ihr auch keine Moralpredigten. So, du hast in einem Supermarkt geklaut? Bei deinen Fähigkeiten ist das doch Dünnbrettbohrerei, damit solltest du nicht deine Zeit verschwenden. So, du hast es nicht geschafft, Genbek zu beklauen? Dann hättest du es eben schlauer anstellen müssen, meine Liebe, im Leben bekommt man nichts geschenkt.
Klare Ansagen. Larissa gefiel Karas taffe Art, andererseits flößte sie ihr auch gehörigen Respekt ein.
»Du hast von Grundlagen gesprochen, Kara. Bedeutet das, dass meine Ausbildung sich nicht auf die Zaubereischule beschränkt?«
»Kluges Kind«, erwiderte Kara lächelnd. »Du hast das Zeug dazu, eine mächtige Magierin zu werden, aber nicht mit dem Wissen, das man dir in den Schulen des Grünen Hofs eintrichtern wird.«
»Und warum wird man dort nicht anständig ausgebildet ?«, wunderte sich Larissa. »Haben die etwa kein Interesse daran, begabte Schüler entsprechend zu fördern ?«
»Weißt du, Larissa, Menschen haben in der Regel nur kümmerliche magische Fähigkeiten und schon gar nicht ein so gewaltiges Potenzial wie wir beide. Bei Menschen gibt sich der Grüne Hof deshalb keine große Mühe mit der Ausbildung.«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Larissa der versteckte Sinn von Karas Worten bewusst wurde. Dann machte sie große Augen.
»Was heißt bei Menschen ?«
»Ach so …« Kara senkte den Blick. »Offenbar hat dir noch niemand gesagt, dass praktisch alle Magier, die du bis jetzt kennengelernt hast, überhaupt keine Menschen sind.«
»Was sind
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