Das Opfer
hatte Sarah ja Recht und im guten alten Europa stand man noch ein wenig auf Kriegsfuß mit moderner Technik. Armes, rückständiges Europa …
Nachdenklich ließ Bobby den weißen Bogen durch die Finger gleiten. Trotz oder gerade wegen der altertümlichen Sprache und der schnörkeligen Unterschrift wirkte die Mitteilung stilvoll. Das teure Papier und die edle Visitenkarte verstärkten noch diesen Eindruck. Bobby konnte sich gut vorstellen, wie das Schreiben abgefasst worden war: in einem mit Antikmöbeln vollgestellten Büro und mit einem Füllhalter mit goldener Feder. Die Europäer waren nun mal schrecklich altmodisch. Doch was sollte man auch anderes von ihnen erwarten? Ihre wichtigste Aufgabe – die Entdeckung Amerikas – hatten sie längst erfüllt und nun spielten sie nur noch eine Nebenrolle in der Geschichte. Das war jedenfalls Sarahs Ansicht.
Bobby hatte bereits Erkundigungen eingezogen: Die Anwaltskanzlei Zwimmer existierte seit hundertzweiundsiebzig Jahren, genoss einen ausgezeichneten Ruf und galt als eine der teuersten auf dem Kontinent. Was konnte ein gestandener europäischer Jurist von einem bescheidenen New Yorker Broker wollen?
»… Sie über den Letzten Willen des bedauerlicherweise verschiedenen Lord Russel Earl in Kenntnis zu setzen …«
Gab es womöglich englische Aristokraten im Geschlecht der Douglas-Hume? Schon den ganzen Vormittag hatte sich Bobby darüber den Kopf zerbrochen, doch ihm war nichts Derartiges bekannt. Der Stolz der Familie war sein Cousin, der vor vierzehn Jahren mit der Schülermannschaft die Baseballmeisterschaften im Staat Utah gewonnen hatte. Aber was Adelige betraf … Das Einzige, was Bobby in den Sinn kam, war Hamlet mit Mel Gibson in der Hauptrolle. Doch war Hamlet überhaupt Engländer?
»Ihr Kaffee, Mr. Douglas-Hume.«
»Vielen Dank.«
Als Peggy sich niederbeugte, um den Kaffee zu servieren, gönnte sich Bobby wie gewohnt einen Blick in ihren Ausschnitt. Mit den drallen Brüsten der Kellnerin konnte seine Sarah nicht wirklich konkurrieren.
Peggy verschwand, und Bobby steckte den Brief in den Umschlag zurück. Gewiss war dieser Russel Earl kein armer Mensch, wenn sein Nachlass von einer renommierten Schweizer Kanzlei verwaltet wurde. Vielleicht besaß er sogar ein Vermögen! Hatte der Lord womöglich ihn, den Broker Douglas-Hume, in seinem Testament bedacht?
Bobby nippte nervös an seinem Kaffee und verbrannte sich dabei die Zunge. Anfangs hatte er den Gedanken an eine Erbschaft verdrängt, um keine Enttäuschung zu riskieren. Doch nun, da er allein in Concinis Ristorante saß, konnte er nicht anders, als sich einen solchen Glücksfall auszumalen: Immobilienbesitz, Geld, ein neues Leben! Er könnte sich alles leisten, wovon er bislang nur träumen durfte, und der unsäglich graue Alltag als armseliger Broker hätte endlich ein Ende. Seine derzeitige Situation empfand Bobby als erniedrigend: Er war bereits weit über dreißig, galt jedoch als ewiges Talent, war vollständig abhängig von dem ebenso primitiven wie fetten Edwards und musste sich mit nervigen Kunden und einem herrischen Board of Directors herumschlagen. Er erblasste vor Neid, wenn er an jene Börsenmakler dachte, die mit Millionen jonglierten und sich mit windigen Termingeschäften dumm und dämlich verdienten. Mit seinen mickrigen Provisionen war er dagegen ein Nichts. All das würde sich auf einen Schlag ändern! Er wäre nicht mehr der kleine Bobby, sondern Lord Robert Douglas-Hume! »Selbstverständlich, Lord Douglas-Hume, wie Sie wünschen, Lord Douglas-Hume …« Mit seinen Geschäften würde er den fetten Edwards betrauen – immerhin ein fähiger Broker. Bobby lächelte verklärt und trank seinen Kaffee aus. Wo blieb denn nun dieser Trottel von Anwalt?
Bogdan le Sta betrat Concinis Ristorante um Punkt zwölf Uhr und begab sich zielstrebig zu Bobbys Tisch. Der Anwalt war ein kräftig gebauter, rothaariger Mann mit akkurat gestutztem Kinnbart, trug einen gediegenen Anzug aus feinstem englischen Tuch und hielt einen schmalen Aktenkoffer in der Hand.
»Bogdan le Sta.«
»Robert Douglas-Hume.«
Die Männer gaben einander die Hand, und Bobbys zarte Finger wurden von der eisernen Pranke des Anwalts wie in einem Schraubstock zusammengepresst. Der Typ macht wohl Hanteltraining, dachte er beeindruckt.
Tatsächlich hätte le Sta mit seinen scharfkantigen Gesichtszügen in jedem Hollywood-Actionfilm eine gute Figur abgegeben. Douglas-Hume registrierte dies nicht ohne Neid, denn seine eigene
Weitere Kostenlose Bücher