Das Opfer
Kleinkriminalität und die Erli-Mönche den Gesundheitssektor. Die kleine Sippe der Eulins zeichnete für die Freizeitgestaltung verantwortlich und half den anderen Bürgern dabei, ihr mehr oder weniger ehrlich verdientes Geld auf lustbringende Art und Weise zu verprassen. Das Milieu, in dem sich die glatzköpfigen Frohnaturen deshalb zwangsläufig bewegten, war offenbar ein idealer Nährboden für ihren Hang zu amourösen Abenteuern.
»Wo nehmt ihr nur die Kraft für einen solchen Lebensstil her?«, fragte Cortes.
»Das ist unser einziges Familiengeheimnis«, verkündete der Eulin verschmitzt, wobei seine Äuglein hinter den dicken rosa Bäckchen fast verschwanden. »So mancher große Krieger gäbe viel darum, es zu erfahren – Hut ab vor ihrer hartnäckigen Neugier. Doch dieses Geheimnis hüten wir wie unseren Augapfel, denn darin liegt für uns der Sinn.«
»Der Sinn wovon?«
»Der Sinn von allem!«
»Murzo, komm mal zu uns!« Die Gesprächspartner drehten sich nach der schrillen Stimme um. An einem der Tische hatten sich vier anmutige Feen niedergelassen, junge Zauberinnen aus dem Herrscherhaus Lud. »Mach schon, Murzo, wir warten nicht gern.«
Die Augen des Eulins bekamen einen lüsternen Glanz und traten aus den Höhlen: »Entschuldigen Sie mich, meine Herren, die Pflicht ruft.« Behände glitt er vom hohen Hocker herab und winkte dem Barkeeper. »Gonzo, eine Runde für meine Freunde auf Kosten des Hauses.«
»Übertreib es nicht mit den Feen«, empfahl ihm Artjom.
»Unser Familiengeheimnis wird mich retten«, gab Murzo hinter vorgehaltener Hand zurück und gockelte zum Tisch der jungen Frauen davon.
Die Söldner erhoben die Gläser.
»Trinken wir darauf, dass wir das Familiengeheimnis der Eulins nie nötig haben werden!«, schlug Artjom vor, leerte sein Glas und sah sich um.
Nur wenige Gäste verloren sich im Gastraum der Rennsemmel . An den kleinen runden Tischen saßen außer der lärmenden Feenschar zwei Schatyren in Maßanzügen, die sich mit wichtigen Mienen über geschäftliche Unterlagen beugten, ein Grüppchen Rothauben, die einer Flasche Whiskey zu Leibe rückten, und ein junger Vicomte aus dem Herrscherhaus Lud, der mit einer hübschen Begleiterin flirtete.
Murzo war ein passionierter Motorsportfan und an der Einrichtung der Rennsemmel konnte man dies unschwer ablesen: An den Wänden hingen ein Lenkrad von Alain Prost, ein Helm von Michael Schumacher und ein Overall von Gilles Villeneuve. Auf einem kleinen Podest neben dem Eingang thronte ein blitzblank gewienerter, roter Ferrari-Bolide. In allen Ecken der Bar hingen Großbildleinwände, auf denen die Rennsportereignisse vom ganzen Globus übertragen wurden. Murzo beschränkte sich nicht nur auf die Formel 1, und die Rennsemmel war stets brechend voll, wenn irgendwo auf der Welt knatternde PS-Monster im Kreis herumfuhren.
»Warum stehen die Frauen so sehr auf die Eulins?«, wunderte sich Artjom, als er sah, wie die Feen sich gickelnd um Murzo scharten. »Sie sind doch klein und glatzköpfig …«
Cortes zog die breiten Schultern hoch: »Vielleicht ist es ihre Unbeschwertheit. Sie sind immer locker drauf.«
Eben diese Lockerheit schien dem Söldner heute abzugehen. Zerstreut strich er sich durchs kurzgeschorene Haar und in seinen normalerweise emotionslosen, braunen Augen schimmerte eine Spur von Trübsal. Artjom kannte seinen Kompagnon bereits zu gut, als dass ihm dies entgangen wäre.
»Was hast du am Abend vor?«
»Nichts Besonderes.« Cortes schwieg eine Weile und wechselte dann unvermittelt das Thema: »Hast du schon ein Geschenk für Jana?«
»Natürlich. Sie hat ja morgen Geburtstag.«
»Gut.«
Cortes verfiel abermals in Schweigen, und nun ahnte Artjom, was seinem Partner auf der Seele lag: Er hatte noch immer kein passendes Geschenk für die junge Frau. Jana, eine schwarzhaarige Schönheit und brillante Scharfschützin, arbeitete geschäftlich mit ihnen zusammen, doch in letzter Zeit waren sie und Cortes sich auch privat näher gekommen. Artjom amüsierte sich innerlich über die Entschlusslosigkeit des erfahrenen Söldners. Er gab Gonzo ein Zeichen, und im Handumdrehen stellte der flinke Barkeeper zwei frisch gefüllte Gläser auf den Tresen.
»Und, was wirst du ihr schenken?«, erkundigte sich Cortes, während er den Cognac schwenkte.
Artjom holte eine Schatulle aus seiner Tasche: »Das hier.«
Cortes öffnete das Schmuckkästchen und betrachtete erstaunt den großen, blauen Kristall, der auf einem schwarzen
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