Das Orakel von Theran
war von diesem Geständnis überrascht, aber gleichzeitig musste er sich fragen, was Luxon mit der zur Schau getragenen Ehrlichkeit denn nun wieder bezweckte. Möglicherweise war er in diesem Augenblick aber eben nur ehrlich und sonst nichts, vielleicht zum erstenmal in seinem Leben.
»Komm, Mythor«, sagte Luxon. »Wir sollten keine Zeit mehr verlieren. Denn die Orakeldiener suchen bereits nach dir. Und wenn sie dich oben nicht finden, werden sie ihre Suche auch auf die unterirdischen Grüfte ausdehnen.«
»Ich bin bereit«, sagte Mythor.
Luxon, den Leuchtkäfer in der offenen Hand vor sich haltend, ging voran. Sie kamen von diesem Gewölbe in ein anderes, das sich von dem vorangegangenen in keiner Weise unterschied. Auch hier türmten sich menschliche Gebeine in Nischen.
»Bist du mir noch böse, dass ich mir dein Einhorn geborgt habe?« fragte Luxon unvermittelt.
»Geborgt?« staunte Mythor. »Hattest du nicht ganz andere Absichten mit Pandor?«
»Auf mir muss ein Fluch liegen, dass man mir nie glaubt«, sagte Luxon seufzend. »Ich wollte mir nur einen kleinen Vorsprung verschaffen, aus keinem anderen Grund habe ich mir dein Einhorn geliehen. Ich habe es doch zu dir zurückgeschickt, oder?«
»Weil es dich abgeworfen hat«, sagte Mythor überzeugt. »Du konntest es nicht bändigen, aus keinem anderen Grund habe ich es zurückbekommen.«
Luxon sagte darauf nichts, und das war für Mythor die Bestätigung, dass er den Abenteurer aus Sarphand durchschaute. Mythor folgte ihm durch einen Gang, der in zwanzig Schritt Entfernung vor einer Treppe endete.
»Achtung!« rief Luxon. »Es kommt jemand.«
Luxon lief in einen Seitengang. Mythor lauschte kurz den Schritten und Stimmen auf der Treppe. Als der Schein eines Leuchtkäfers herabfiel und die Schatten einiger Gestalten vorauswarf, folgte Mythor Luxon. Sie kamen in ein Gewölbe mit jenen Nischen für die Gebeine verstorbener Orakeldiener.
Luxon fluchte, als er erkannte, dass es keinen zweiten Ausgang gab.
»Es geht nicht weiter«, stellte er fest. »Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als uns in einem dieser Beinhäuser zu verstecken. Nimm du diese Nische, Mythor, ich verkrieche mich in der daneben. Ich hoffe, du hast vor Toten keine Angst.«
Ohne eine Antwort zu geben, kletterte Mythor in eine Nische und versteckte sich hinter einem Berg übereinander getürmter Totenschädel.
Kaum hatte er seinen Platz eingenommen, als sich durch den Gang auch schon Schritte näherten. Und im selben Moment verspürte Mythor bei seinen Zehen ein Kribbeln, das über seinen Fuß langsam das Bein heraufkroch. Bevor er sich fragen konnte, was ihn da heimsuchte, wurde sein Bein in ein fahles Leuchten gehüllt. Da wusste er, dass es sich um einen Skarab handelte.
Schnell griff er zu und bedeckte den Käfer mit der Hand, denn die Schritte hatten das Gewölbe erreicht. Und draußen breitete sich der Schein mehrerer Skaraben aus.
»Da scheint niemand zu sein«, sagte eine Stimme.
»Es ist sinnlos, alle Gräberstätten zu durchsuchen«, sagte eine andere Stimme. »Klüger wäre es, die Zugänge zum Orakel zu bewachen und den Eindringling abzufangen, wenn er versucht, in den Inneren Bezirk zu gelangen.«
Mythor stellte entsetzt fest, dass erneut etwas über seine Füße krabbelte. Gleichzeitig begannen mehrere Skaraben aufzuleuchten. Mythor erkannte, dass ihre schön gezeichneten Rückenpanzer erst aufleuchteten, nachdem sie sich eine Weile auf seinem Körper aufhielten. Brauchten sie die Wärme eines lebenden Wesens, um ihre ganze Leuchtkraft entfalten zu können?
»Gehen wir wieder«, sagte einer der beiden Orakeldiener, die das Gewölbe durchsuchten.
Mythor biss die Zähne zusammen, denn nun krabbelten bereits zwei Dutzend Skaraben auf ihm herum. Plötzlich verspürte er einen stechenden Schmerz in der Hüfte. Dort hatte sich ein Leuchtkäfer mit seinen Scheren in sein Fleisch verbissen. Gleich darauf zwickte ihn ein Skarab mit seinen Beißwerkzeugen in den Oberschenkel. Mythor verbiss den Schmerz.
Er musste noch ein wenig ausharren, bis die beiden Orakeldiener das Gewölbe verlassen hatten, dann erst konnte er sich dieser lästigen Tiere erwehren, die ihn offenbar bei lebendigem Leib aufzufressen gedachten.
»Suchen wir woanders weiter…«
Die Schritte der beiden Orakeldiener entfernten sich bereits wieder. Da vernahm Mythor in der Nische nebenan ein Rumoren. Jemand schrie unterdrückt auf, und Mythor war klar, dass Luxon auf die gleiche Weise wie er von
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