Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
wenn ich spreche! Du bist vorlaut und anmaßend. Kein Mensch kennt tausend Gerüche beim Namen. Selbst ich kenne nicht tausend beim Namen, sondern nur einige hundert, denn mehr gibt es nicht in unserem Gewerbe als einige hundert, alles andre ist nicht Geruch, sondern Gestank!»
Grenouille, der sich während seiner längeren eruptiven Zwischenrede beinahe Körperlich entfaltet, in der Erregung sogar für einen Moment mit beiden Armen im Kreis gefuchtelt hatte, um das «alles, alles», was er kenne, zu umschreiben, klappte bei Baldinis Entgegnung augenblicks wieder in sich zusammen wie eine kleine schwarze Kröte und verharrte auf der Türschwelle, bewegungslos lauernd.
«Ich bin mir», fuhr Baldini fort, «selbstverständlich längst darüber im klaren, dass
«Amor und Psyche» aus Storax, Rosenöl und Nelke sowie Bergamott und Rosmarinextrakt et cetera besteht. Um das herauszufinden, bedarf es, wie gesagt, bloß einer leidlich feinen Nase, und es mag durchaus sein, dass Gott dir eine leidlich feine Nase gegeben hat, wie vielen, vielen anderen Menschen auch - namentlich in deinem Alter. Der Parfumeur jedoch» - und hier hob Baldini den Zeigefinger und wölbte seine Brust heraus - «der Parfumeur jedoch braucht mehr als eine leidlich feine Nase. Er braucht ein über viele Jahrzehnte geschultes, unbestechlich arbeitendes Riechorgan, das ihn in Stand versetzt, auch komplizierteste Gerüche nach Art und Menge sicher zu enträtseln, ebenso wie neue,
unbekannte Duftgemische zu kreieren. Eine solche Nase» - und er tippte mit dem Finger an die seine «hat man nicht, junger Mann! Eine solche Nase erwirbt man sich mit Ausdauer und Fleiß. Oder könntest du mir vielleicht auf Anhieb die exakte Formel von «Amor und Psyche» nennen? Nun? Könntest du das?»
Grenouille antwortete nicht.
«Könntest du sie mir vielleicht ungefähr verraten?» sagte Baldini und beugte sich ein wenig vor, um die Kröte in der Tür genauer zu sehen, «nur so in etwa, schätzungsweise? Nun? Sprich, du beste Nase von Paris!»
Doch Grenouille schwieg.
«Siehst du?» sagte Baldini gleichermaßen befriedigt wie enttäuscht und richtete sich wieder auf, «du kannst es nicht. Natürlich nicht. Wie solltest du es auch können. Du bist wie einer, der beim Essen schmeckt, ob Kerbel oder Petersilie in der Suppe ist. Nun gut das ist schon etwas. Aber deshalb bist du noch lange kein Koch. In jeder Kunst und auch in jedem Handwerk - merke dir das, bevor du gehst! - gilt das Talent so gut wie nichts, aber alles die Erfahrung, die durch Bescheidenheit und Fleiß erworben wird.»
Er griff nach dem Leuchter auf dem Tisch, als Grenouilles gepresste Stimme von der
Tür her schnarrte:
«Ich weiß nicht, was eine Formel ist, Mahre, das weiß ich nicht, sonst weiß ich alles!»
«Eine Formel ist das A und O jeden Parfums», erwiderte Baldini streng, denn er wollte dem Gespräch nun ein Ende machen. «Sie ist die akribische Anweisung, in welchem Verhältnis die einzelnen Ingredienzen zu mischen sind, damit der eine gewünschte, unverwechselbare Duft entstehe; das ist die Formel. Sie ist das Rezept - wenn du dieses Wort besser verstehst.» «Formel, Formel», krächzte Grenouille und wurde etwas größer in der Tür, «ich brauche keine Formel. Ich habe das Rezept in meiner Nase. Soll ich es für Sie mischen, Maitre, soll ich es mischen, soll ich?»
«Wie denn?» rief Baldini mit ziemlicher Lautstärke und hielt dem Gnom die Kerze vors Gesicht. «Wie denn mischen?»
Grenouille zuckte zum ersten Mal nicht mehr zurück. «Aber sie sind doch alle da, die man braucht, die Gerüche, sind doch alle da, in diesem Raum», sagte er und deutete wieder ins Dunkle. «Rosenöl da! Orangenblüte da! Nelke da! Rosmarin da...!»
«Freilich sind sie da!» brüllte Baldini. «Alle sind sie da! Aber ich sage dir doch, Holzkopf, das nützt nichts, wenn man die Formel nicht hat!»
«...Jasmin da! Weingeist da! Bergamotte da! Storax da!» krächzte Grenouille weiter und deutete bei jedem Namen auf einen anderen Punkt im Raum, wo es so dunkel war, dass man den Schatten der Regale mit den Flaschen höchstens ahnen konnte.
«Du siehst wohl auch bei Nacht, he?» fuhr Baldini ihn an, «du hast nicht nur die feinste Nase, sondern auch die schärfsten Augen von Paris, wie? Wenn du nur leidlich gute Ohren hast, dann mach sie auf, denn ich sage dir: Du bist ein kleiner Betrüger. Wahrscheinlich hast du irgend etwas aufgeschnappt bei Pelissier, hast was ausspioniert, wie? Und glaubst, du
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