Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
könntest mich hinters Licht führen?»
Grenouille stand jetzt ganz auseinandergefaltet, sozusagen in voller Körpergröße in der Türe, mit leicht auseinandergestellten Beinen und leicht abgespreizten Armen, so dass er aussah wie eine schwarze Spinne, die sich an Schwelle und Rahmen festkrallte. «Geben Sie mir zehn Minuten», sagte er in ziemlich flüssiger Rede, «und ich werde Ihnen das Parfum «Amor und Psyche» herstellen. Jetzt gleich und hier in diesem Raum. Maitre, geben Sie mir fünf Minuten!»
«Du glaubst, ich lasse dich in meiner Werkstatt herumpantschen? Mit Essenzen, die ein Vermögen wert sind? Dich?»
«Ja», sagte Grenouille.
«Pah!» rief Baldini und stieß dabei den ganzen Atem, den er hatte, auf einmal heraus. Dann holte er tief Luft, sah den spinnenhaften Grenouille lange an und überlegte. Im Grunde ist es egal, dachte er, denn morgen hat sowie so alles ein Ende. Ich weiß zwar, dass er das, was er behauptet, nicht kann, ja gar nicht können kann, er wäre denn noch größer als der große Frangipani. Aber warum soll ich mir das, was ich weiß, nicht noch vor Augen demonstrieren lassen? Womöglich kommt mir sonst in Messina eines Tages man wird ja manchmal sonderbar im Alter und versteift sich auf die verrücktesten Ideen - der Gedanke, ich hätte ein olfaktorisches Genie, ein Wesen, auf dem die Gnade Gottes überreichlich ruhte, ein Wunderkind, als solches nicht erkannt... - Es ist ganz ausgeschlossen. Nach allem, was mir der Verstand sagt, ist es ausgeschlossen - aber Wunder gibt es, das steht fest. Nun, wenn ich dereinst sterbe in Messina, und auf dem Sterbelager kommt mir der Gedanke: Damals in Paris, an jenem Abend, hast du vor einem Wunder die Augen zugemacht...? Das wäre nicht sehr angenehm, Baldini! Soll der Narr die paar Tropfen Rosenöl und Moschustinktur verkleckern, du selbst hättest sie auch verkleckert, wenn dich das Parfum von Pelissier noch wirklich interessierte. Und was sind schon die paar Tropfen - wiewohl teuer, sehr, sehr teuer! - gemessen an der Sicherheit des Wissens und an einem ruhigen Lebensabend?
«Pass auf!» sagte er mit künstlich strenger Stimme, «pass auf! Ich... - wie heisst du überhaupt?»
«Grenouille», sagte Grenouille. «Jean-Baptiste Grenouille.»
«Aha», sagte Baldini. «Also pass auf, Jean-Baptiste Grenouille! Ich habe es mir überlegt. Du sollst die Gelegenheit bekommen, jetzt, sofort, deine Behauptung zu beweisen. Dies ist zugleich eine Gelegenheit für dich, durch ein eklatantes Scheitern die Tugend der Bescheidenheit zu lernen, welche - in deinem jungen Alter vielleicht verzeihlicherweise noch kaum entwickelt - eine unabdingbare Voraussetzung für dein späteres Fortkommen als Mitglied deiner Zunft und deines Standes, als Ehemann, als Untertan, als Mensch und als ein guter Christ sein wird. Ich bin bereit, dir diese Lehre auf meine Kosten zu erteilen, denn aus bestimmten Gründen bin ich heute spendabel aufgelegt, und, wer weiß, vielleicht wird mir eines Tages die Rückerinnerung an diese Szene etwas Heiterkeit bereiten. Aber glaube nicht, du könntest mich übertölpeln! Giuseppe Baldinis Nase ist alt, aber sie ist scharf, scharf genug, auch den kleinsten Unterschied zwischen deiner Mixtur und diesem Produkt hier» - und dabei zog er sein «Amor und Psyche» - getränktes Tüchlein aus der Tasche und wedelte es Grenouille vor die Nase - «sofort festzustellen. Tritt näher, beste Nase von Paris! Tritt näher an diesen Tisch und zeige, was du kannst! Doch gib acht, dass du mir nichts umstößt und herunterwirfst! Rühre mir nichts an! Erst will ich mehr Licht machen. Wir wollen große Beleuchtung haben für dieses kleine Experiment, nicht wahr?»
Und damit nahm er zwei andere Leuchter, die am Rand des großen Eichentisches standen, und zündete sie an. Er postierte sie alle drei nebeneinander an der hinteren Längsseite, schob das Leder beiseite, räumte den mittleren Teil des Tisches frei. Dann, mit zugleich ruhigen und raschen Griffen, holte er die Geräte, die das Geschäft erforderte, von einem kleinen Gestell: die große bauchige Mischflasche, den gläsernen Trichter, die Pipette, das kleine und das große Messglas, und stellte sie wohlgeordnet vor sich auf die Eichenplatte.
Grenouille hatte sich inzwischen vom Türrahmen gelöst. Schon während Baldinis pompöser Rede war das Versteifte, lauernd Verdruckte von ihm abgefallen. Er hörte nur die Zustimmung, nur das Ja, mit dem innern Jubel eines Kindes, das sich ein Zugeständnis
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