Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Parfum: die Geschichte eines Mörders

Das Parfum: die Geschichte eines Mörders

Titel: Das Parfum: die Geschichte eines Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Süskind
Vom Netzwerk:
gekühlt. Dann blies er das Feuer an.
    Allmählich begann es, im Kessel zu brodeln. Und nach einer Weile, erst zaghaft tröpfchenweise, dann in fadendünnem Rinnsal, floss Destillat aus der dritten Rühre des Maurenkopfs in eine Florentinerflasche, die Baldini untergestellt hatte. Es sah zunächst recht unansehnlich aus, wie eine dünne, trübe Suppe. Nach und nach aber, vor allem wenn die gefüllte Flasche durch eine neue ausgetauscht und ruhig beiseite gestellt worden war, schied sich die Brühe in zwei verschiedene Flüssigkeiten: unten stand das Blüten-oder Kräuterwasser, obenauf schwamm eine dicke Schicht von Öl. Goss man nun vorsichtig durch den unteren Schnabelhals der Florentinerflasche das nur zart duftende Blütenwasser ab, so blieb das reine Öl zurück, die Essenz, das starke riechende Prinzip der Pflanze. Grenouille war von dem Vorgang fasziniert. Wenn je etwas im Leben Begeisterung in ihm entfacht hatte freilich keine äußerlich sichtbare, sondern eine verborgene, wie in kalter Flamme brennende Begeisterung -, dann war es dieses Verfahren, mit Feuer, Wasser und Dampf und einer ausgeklügelten Apparatur den Dingen ihre duftende Seele zu entreißen. Diese duftende Seele, das ätherische Öl, war ja das Beste an ihnen, das einzige, um dessentwillen sie ihn interessierten. Der blöde Rest: Blüte, Blätter, Schale, Frucht, Farbe, Schönheit, Lebendigkeit und was sonst noch an überflüssigem in ihnen steckte, das kümmerte ihn nicht. Das war nur Hülle und Ballast. Das gehörte weg.
    Von Zeit zu Zeit, wenn das Destillat wässrig klar geworden war, nahmen sie den Alambic vom Feuer, öffneten ihn und schütteten das zerkochte Zeug heraus. Es sah schlapp aus und blass wie aufgeweichtes Stroh, wie gebleichte Knochen kleiner Vögel, wie Gemüse, das zu lang gekocht hat, fad und fasrig, matschig, kaum noch als es selbst erkenntlich, eklig leichenhaft und so gut wie vollständig des eigenen Geruchs beraubt. Sie warfen es zum Fenster hinaus in den Fluss. Dann beschickten sie mit neuen frischen Pflanzen, füllten Wasser nach und setzten den Alambic zurück auf die Feuerstelle. Und wieder begann der Kessel zu brodeln, und wieder rann der Lebenssaft der Pflanzen in die Florentinerflaschen. So ging es oft die ganze Nacht hindurch. Baldini besorgte den Ofen, Grenouille behielt die Flaschen im Auge, mehr war nicht zu tun in der Zeit zwischen den Wechseln.
    Sie saßen auf Schemeln ums Feuer, im Banne des plumpen Bottichs, beide gebannt, wenn auch aus sehr verschiedenen Gründen. Baldini genoss die Glut des Feuers und das flackernde Rot der Flammen und des Kupfers, er liebte das Knistern des brennenden Holzes, das Gurgeln des Alambics, denn das war wie früher. Da konnte man ins Schwärmen kommen! Er holte eine Flasche Wein aus dem Laden, denn die Hitze machte ihn durstig, und Weintrinken, das war auch wie früher. Und dann fing er an, Geschichten zu erzählen, von damals, endlos. Vom spanischen Erbfolgekrieg, an dessen Verlauf er, gegen die Österreicher kämpfend, maßgeblich beteiligt gewesen sei; von den Camisards, mit denen er die Cevennen unsicher gemacht habe; von der Tochter eines Hugenotten im Esterei, die vom Lavendelduft berauscht ihm zu Willen gewesen sei; von einem Waldbrand, den er dabei um ein Haar entfacht und der dann wohl die gesamte Provence in Brand gesteckt hätte, so sicher wie das Amen in der Kirche, denn es ging ein scharfer Mistral; und vom Destillieren erzählte er, immer wieder davon, auf freiem Feld, nachts, beim Mondschein, bei Wein und bei Zikadengeschrei, und von einem Lavendelöl, das er dabei erzeugt habe, so fein und kräftig, dass man es ihm mit Silber auf gewogen habe; von seiner Lehrzeit in Genua, von seinen Wanderjahren und von der Stadt Grasse, in der es so viele Parfumeure gebe wie anderswo Schuster, und so reiche darunter, dass sie lebten wie Fürsten, in prächtigen Häusern mit schattigen Gärten und Terrassen und holzgetäfelten Esszimmern, in denen sie speisten von porzellanenen Tellern mit Goldbesteck, und so fort...
    Solche Geschichten erzählte der alte Baldini und trank Wein dazu und bekam vom Wein und von der Feuerglut und von der Begeisterung über seine eignen Geschichten ganz feuerrote Bäckchen. Grenouille aber, der etwas mehr im Schatten saß, hörte gar nicht zu. Ihn interessierten keine alten Geschichten, ihn interessierte ausschließlich der neue Vorgang. Er starrte unausgesetzt auf das Röhrchen am Kopf des Alambics, aus dem in dünnem Strahl das Destillat

Weitere Kostenlose Bücher