Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
mittels Destillation radikal neue Düfte zu erzeugen, Düfte, wie es sie in konzentrierter Form auf Erden noch nicht gegeben hatte. Und bis auf ein paar lächerliche Pflanzenöle war nichts dabei herausgekommen. Aus dem tiefen, unermesslich reichen Brunnen seiner Vorstellung hatte er keinen einzigen Tropfen konkreter Duftessenz gefördert, von allem, was ihm geruchlich vorgeschwebt hatte, nicht ein Atom realisieren können.
Als er sich über sein Scheitern klargeworden war, stellte er die Versuche ein und wurde lebensbedrohlich krank.
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Er bekam hohes Fieber, das in den ersten Tagen von Ausschwitzungen begleitet war und später, als genügten die Poren der Haut nicht mehr, unzählige Pusteln erzeugte. Grenouilles Körper war übersät von diesen roten Bläschen. Viele von ihnen platzten auf und ergossen ihren wässrigen Inhalt, um sich dann wieder von neuem zu füllen. Andere wuchsen sich zu wahren Furunkeln aus, schwollen dick rot an und rissen wie Krater auf und spieen dickflüssigen Eiter aus und mit gelben Schlieren durchsetztes Blut. Nach einer Weile sah Grenouille aus wie ein von innen gesteinigter Märtyrer, aus hundert Wunden schwärend. Da machte sich Baldini natürlich Sorgen. Es wäre ihm sehr unangenehm gewesen, seinen kostbaren Lehrling ausgerechnet in einem Augenblick zu verlieren, wo er sich anschickte, seinen Handel über die Grenzen der Hauptstadt, ja sogar des ganzen Landes auszudehnen. Denn in der Tat geschah es immer häufiger, dass nicht nur aus der Provinz, sondern auch von ausländischen Hüfen Bestellungen eingingen für jene neuartigen Düfte, nach denen Paris verrückt war; und Baldini trug sich mit dem Gedanken, zur Bewältigung dieser Nachfrage eine Filiale im Faubourg Saint-Antoine zu gründen, eine veritable kleine Manufaktur, wo die gängigsten Düfte en gros gemischt und en gros in nette kleine Flakons gefüllt, von netten kleinen Mädchen verpackt nach Holland, England und ins Deutsche Reich verschickt werden sollten. Für einen in Paris ansässigen Meister war ein solches Unterfangen nicht gerade legal, aber neuerdings verfügte Baldini ja über Protektion höheren Orts, seine raffinierten Düfte hatten sie ihm verschafft, nicht nur beim Intendanten, sondern auch bei so wichtigen Persönlichkeiten wie Monsieur dem Zollpächter von Paris und einem Mitglied des Königlichen Finanzkabinetts und Förderer wirtschaftlich florierender Unternehmen wie dem Herrn Feydeau de Brou. Dieser hatte sogar Königliches Privileg in Aussicht gestellt, das Beste, was man sich überhaupt wünschen konnte, war es doch eine Art Passepartout zur Umgehung sämtlicher staatlicher und ständischer Bevormundung, das Ende aller geschäftlichen Sorgen und eine ewige Garantie für sicheren, unangefochtenen Wohlstand.
Und dann gab es noch einen anderen Plan, mit dem Baldini schwanger ging, einen Lieblingsplan, eine Art Gegenprojekt zu der Manufaktur im Faubourg Saint-Antoine, die, wenn nicht Massenware, so doch für jedermann käufliche produzierte: Er wollte für eine ausgewählte Zahl hoher und höchster Kundschaft persönliche Parfums kreieren, vielmehr kreieren lassen, Parfums, die, wie angeschneiderte Kleider, nur zu einer Person passten, nur von dieser verwendet werden durften und allein ihren erlauchten Namen trugen. Er stellte sich ein «Parfum de la Marquise de Cernay» vor, ein «Parfum de la Marechale de Villars», ein «Parfum du Duc d'Aiguillon» und so fort. Er träumte von einem «Parfum de Madame la Marquise de Pompadour», ja sogar von einem «Parfum de Sa Majeste le Roi» im köstlichgeschliffenen achatenen Flakon mit ziselierter Goldfassung und dem auf der Innenseite des Fußes verborgen eingravierten Namen «Giuseppe Baldini, Parfumeur». Des Königs Namen und sein eigener auf ein und demselben Gegenstand. Zu solch herrlichen Vorstellungen hatte sich Baldini verstiegen! Und nun war Grenouille krank geworden. Wo doch Grimal, Gott hab ihn selig, geschworen hatte, dem fehle nie etwas, der halte alles aus, sogar die schwarze Pest stecke der weg. War mir nichts, dir nichts krank auf den Tod. Wenn er stürbe? Entsetzlich! Dann stürben mit ihm die herrlichen Pläne von der Manufaktur, von den netten kleinen Mädchen, vom Privilegium und vom Parfum des Königs.
Also beschloss Baldini, nichts unversucht zu lassen, um das teure Leben seines Lehrlings zu retten. Er ordnete eine Umsiedlung von der Werkstattpritsche in ein sauberes Bett im Obergeschoß des Hauses an. Er ließ das Bett mit
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