Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
anschließend Wohnung in Vence nahm.
Richis wusste, dass er durch ein so eiliges Vorgehen den Preis für die Verbindung seines Hauses mit dem Haus derer von Bouyon ganz unverhältnismäßig in die Höhe trieb. Bei längerem Zuwarten hätte er sie billiger bekommen. Gebettelt hätte der Baron darum, die Tochter des bürgerlichen Großhändlers durch seinen Sohn standesmäßig erhöhen zu dürfen, denn der Ruhm von Laures Schönheit würde ja noch wachsen, ebenso wie Richis' Reichtum und wie Bouyons finanzielle Misere. Aber sei's drum! Nicht der Baron war bei diesem Handel der Gegner, sondern der unbekannte Mörder war es. Ihm galt es das Geschäft zu versalzen. Eine verheiratete Frau, defloriert und womöglich schon geschwängert, passte nicht mehr in seine exklusive Galerie. Der letzte Mosaikstein wäre blind geworden, Laure hätte für den Mörder jeden Wert verloren, sein Werk wäre gescheitert. Und diese Niederlage sollte er zu spüren bekommen! Richis wollte die Hochzeit in Grasse abhalten, mit großem Pomp und in aller Öffentlichkeit. Und wenn er seinen Gegner auch nicht kannte und niemals kennen würde, so sollte es ihm doch ein Genuss sein, zu wissen, dass dieser dem Ereignis beiwohnte und mit eignen Augen zusehen musste, wie ihm das Begehrteste vor der Nase weggeschnappt wurde.
Der Plan war fein ausgedacht. Und wieder müssen wir Richis' Gespür bewundern, mit dem er der Wahrheit nahekam. Denn in der Tat hätte die Heimführung der Laure Richis durch den Sohn des Baron de Bouyon für den Grasser Mädchenmörder eine vernichtende Niederlage bedeutet. Aber noch war der Plan nicht verwirklicht. Noch hatte Richis seine Tochter nicht unter die rettende Haube gebracht. Noch hatte er sie nicht in das sichere Kloster von Saint-Honorat übergesetzt. Noch schlugen sich die drei Reiter durch das unwirtliche Gebirge des Tanneron. Manchmal waren die Wege so schlecht, dass man von den Pferden absitzen musste. Es ging alles sehr langsam. Gegen Abend hofften sie das Meer bei Napoule zu erreichen, einem kleinen Ort westlich von Cannes.
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Zu dem Zeitpunkt, da Laure Richis mit ihrem Vater Grasse verließ, befand sich Grenouille am andern Ende der Stadt im Arnulfischen Atelier und mazerierte Jonquillen. Er war allein, und er war guter Dinge. Seine Zeit in Grasse neigte sich dem Ende zu. Der Tag des Triumphes stand bevor. Draußen in der Kabane lagen in einem wattegepolsterten Kästchen vierundzwanzig winzige Flakons mit der zu Tropfen geronnenen Aura von vierundzwanzig Jungfrauen - kostbarste Essenzen, die Grenouille im vergangenen Jahr durch kalte Fettenfleurage der Körper, Digerieren von Haaren und Kleidern, Lavage und Destillation gewonnen hatte. Und die fünfundzwanzigste, die köstlichste und wichtigste, wollte er sich heute holen. Er hatte schon ein Tiegelchen mit mehrfach gereinigtem Fett, ein Tuch von feinstem Leinen und einen Ballon hochrektifizierten Alkohols für diesen letzten Fischzug vorbereitet. Das Terrain war aufs genaueste sondiert. Es herrschte Neumond.
Er wusste, dass ein Einbruchsversuch in das gut gesicherte Anwesen an der Rue Droite sinnlos war. Deshalb wollte er sich schon bei Anbruch der Dämmerung, ehe noch die Tore geschlossen wurden, einschleichen und im Schutz der eigenen Geruchlosigkeit, die ihn wie eine Tarnkappe der Wahrnehmung von Mensch und Tier entzog, in irgendeinem Winkel des Hauses verbergen. Später dann, wenn alles schlief, würde er, vom Kompass seiner Nase durch die Dunkelheit geführt, zur Kammer seines Schatzes hinaufsteigen. Er würde ihn an Ort und Stelle im fettgetränkten Tuch verarbeiten. Nur Haar und Kleider würde er wie gewöhnlich mitnehmen, da diese Teile direkt in Weingeist ausgewaschen werden konnten, was sich bequemer in der Werkstatt machen ließ. Für die Endverarbeitung der Pomade und das Abdestillieren zu Konzentrat veranschlagte er eine weitere Nacht. Und wenn alles gutging - und er hatte keinen Grund, daran zu zweifeln, dass alles gutgehen würde -, dann war er übermorgen im Besitz sämtlicher Essenzen für das beste Parfum der Welt, und er würde Grasse verlassen als der bestriechende Mensch auf Erden.
Gegen Mittag war er mit seinen Jonquillen fertig. Er löschte das Feuer, deckte den Fettkessel zu und ging vor die Werkstatt, um sich abzukühlen. Der Wind kam von Westen.
Schon mit dem ersten Atemzug merkte er, dass etwas nicht stimmte. Die Atmosphäre war nicht in Ordnung. Im Duftkleid der Stadt, diesem vieltausendfädig gewebten Schleier,
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