Das Parfum: die Geschichte eines Mörders
den Bürgermeister und Ersten Konsul, an seinen Notar, an seinen Anwalt, an seinen Bankier in Marseille, an den Baron de Bouyon und an diverse Geschäftspartner.
Gegen sechs Uhr früh hatte er die Korrespondenz erledigt und alle zu seinen Plänen notwendigen Verfügungen getroffen. Er steckte zwei kleine Reisepistolen zu sich, schnallte sich seinen Geldgürtel um und sperrte den Schreibtisch zu. Dann ging er seine Tochter wecken.
Um acht setzte sich die kleine Karawane in Bewegung. Richis ritt voran, er war prächtig anzusehen in einem weinroten, goldbetressten Rock, schwarzer Redingote und schwarzem Hut mit kessem Federbusch. Ihm folgte seine Tochter, bescheidener gekleidet, aber so strahlend schön, dass das Volk auf der Straße und an den Fenstern nur Augen für sie hatte, dass andächtige Ahs und Ohs durch die Menge gingen und die Männer ihren Hut zogen - scheinbar vor dem zweiten Konsul, in Wahrheit aber vor ihr, der Königlichen Frau. Dann kam, fast unbeachtet, die Zofe, dann Richis' Diener mit zwei Packpferden - die Verwendung eines Wagens verbot sich wegen des berüchtigt schlechten Zustands der Grenobler Route -, und den Abschluss des Zuges bildeten ein Dutzend mit allen möglichen Waren beladene Maultiere unter Aufsicht zweier Knechte. An der Porte du Cours präsentierten die Wachen das Gewehr und ließen es erst wieder sinken, als das letzte Maultier vorübergetippelt war. Kinder liefen hinterher, noch eine ganze Weile lang, winkten dem Tross nach, der sich langsam auf dem steilen, gewundenen Weg bergwärts entfernte.
Auf die Menschen machte der Auszug des Antoine Richis mit seiner Tochter einen seltsam tiefen Eindruck. Ihnen war, als hätten sie einem archaischen Opfergang beigewohnt. Es hatte sich herumgesprochen, dass Richis nach Grenoble reiste, in jene Stadt also, wo neuerdings das mädchenmordende Monster hauste. Die Leute wussten nicht, was sie davon halten sollten. War es sträflicher Leichtsinn, was Richis tat, oder bewundernswerter Mut? War es eine Herausforderung oder eine Besänftigung der Götter? Sie ahnten nur sehr undeutlich, dass sie das schöne Mädchen mit den roten Haaren soeben zum letzten Mal gesehen hatten. Sie ahnten, dass Laure Richis verloren war.
Diese Ahnung sollte sich als richtig erweisen, obwohl sie auf völlig falschen Voraussetzungen beruhte. Richis zog nämlich keineswegs nach Grenoble. Der pompöse Auszug war nichts als eine Finte gewesen. Anderthalb Meilen nordwestlich von Grasse, in der Nähe des Dorfes Saint-Vallier, ließ er anhalten. Er händigte seinem Diener Vollmachten und Begleitschreiben aus und befahl ihm, den Maultiertreck allein mit den Knechten nach Grenoble zu bringen.
Er selbst wandte sich mit Laure und der Zofe in Richtung Cabris, wo er eine Mittagspause einlegte, und ritt dann quer durch das Gebirge des Tanneron nach Süden. Der Weg war äußerst beschwerlich, aber er gestattete es, Grasse und das Grasser Becken in einem weiten westlichen Bogen zu umgehen und bis zum Abend unerkannt die Küste zu erreichen... Am folgenden Tag – so Richis' Plan – wollte er sich mit Laure nach den Lerinischen Inseln übersetzen lassen, auf deren kleinerer sich das wohlbefestigte Kloster Saint-Honorat befand. Es wurde von einem Häuflein greiser, aber noch durchaus wehrfähiger Mönche bewirtschaftet, mit denen Richis gut bekannt war, denn er kaufte und vertrieb schon seit Jahren die gesamte klösterliche Produktion an Eukalyptuslikör, Pinienkernen und Zypressenöl. Und eben dort, im Kloster Saint-Honorat, dem neben dem Zuchthaus von Chateau d'If und dem Staatsgefängnis der Ile Sainte-Mar-guerite wohl sichersten Ort der Provence, gedachte er seine Tochter fürs erste unterzubringen. Er selbst würde unverzüglich wieder aufs Festland zurückkehren, Grasse diesmal via Antibes und Cagnes östlich umgehen, um noch am Abend desselben Tages in Vence einzutreffen. Dorthin hatte er bereits seinen Notar bestellt zwecks einer zu treffenden Vereinbarung mit dem Baron de Bouyon über die Verehelichung ihrer Kinder Laure und Alphonse. Er wollte Bouyon ein Angebot machen, das dieser nicht würde ablehnen können: Übernahme von Schulden in Höhe von 40000 Livre, Mitgift bestehend aus einer Summe in gleicher Höhe sowie diversen Ländereien und einer Ölmühle bei Maganosc, eine jährliche Rente von 3000 Livre für das junge Paar. Einzige Bedingung Richis' war, dass die Ehe innerhalb von zehn Tagen eingegangen und am Hochzeitstag vollzogen würde, und dass das Paar
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