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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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– was ungewöhnlich für einen Nahua war –, außerdem verfügte er nur über ein einziges Nasenloch, weshalb jeder Atemzug mit einem ganz eigenen Pfeifton einherging. Er grinste die um das Feuer Sitzenden an, schaute dann über sie hinweg auf die unzähligen weiteren Lagerfeuer und Grüppchen in diesem Hochgebirgswald zwischen dem Tal von Anahuac und der Westküste. Eine Karawane ist dies hier nicht, stellte er fest, auch keine Armee und in Anbetracht der unterschiedlichen Kleidung, Frisuren und Hautfarben offenbar auch kein eigener Volksstamm. Was ihm noch auffiel, waren die vielen Kranken und Gehbehinderten. Pilger unterwegs zu einer heiligen Stätte? Noch nie hatte er eine derart große Gruppe frommer Menschen erlebt, die ausgezogen waren, um einem Gott Ehre zu erweisen. Hunderte mochten es sein, die zwischen diesen Tannen lagerten. Wenn nicht gar tausend.
    Und zu ihrem Schutz lediglich eine Handvoll Krieger.
    »Seid willkommen an unserem Feuer, Edler Oxmyx«, sagte Ixchel, und schon warfen die Träger ihre Lasten ab und gingen daran, ein eigenes kleines Lager aufzuschlagen.
    »Den Göttern sei Lob und Dank.« Oxmyx rieb sich die kalten Hände. »Diese Hasen da sehen zwar gut aus, aber mir ist nicht nach Fleisch. Hättet Ihr vielleicht ein paar Tortillas?«
    Ixchel bedauerte. Die letzten Maisfladen hätten sie vor Tagen gegessen. Oxmyx gab sich mit süßen Kartoffeln zufrieden, die ihm Tonina aus der Glut holte.
    »Wohin seid Ihr unterwegs?«, erkundigte sich Ixchel leicht irritiert, weil der Händler es nicht für nötig hielt, ein paar Krumen für die Götter ins Feuer zu werfen, sondern sofort eine heiße Kartoffel verschlang.
    »Ich bringe Baumwolle in den Norden, Edle Dame, und tausche sie gegen Gürteltiere. Meine Träger und ich haben uns zu lange ausschließlich von Fleisch ernährt und lechzen nach Tortillas, nach Mais. Aber dies hier ist meine letzte Reise.« Er griff nach einer weiteren süßen Kartoffel. »Stoff gegen Trommeln zu tauschen war einst ein lukratives Geschäft, aber heutzutage schmälern diese ständigen Schmiergelder den Gewinn. Jeder will bestochen werden. Überall herrscht Gewalt, werte Damen. Von Gesetz und Ordnung keine Spur. An jeder Grenze muss ich dem jeweiligen Häuptling einen Tribut entrichten, damit ich gefahrlos sein Gebiet passieren darf. Bis ich nach Hause komme, werde ich bettelarm sein.«
    »Und wo ist zu Hause?«, erkundigte sich Ixchel. Eines der Risiken unterwegs war, dass man denen, die einem begegneten, wohl oder übel seine Gastfreundschaft unter Beweis stellte, und dann konnte es geschehen, dass der Gast mehr aß als den anderen lieb war. Ihre Vorräte gingen rapide dem Ende zu, und die Jagd war wegen des anhaltenden Regens in diesem Spätsommer nicht sehr ergiebig gewesen.
    »Amecameca, am Südrand des Tals von Anahuac«, sagte Oxmyx mit vollem Mund.
    Bei der Erwähnung von Anahuac durchfuhr Tonina einen stechenden Schmerz. Als sie am Tal von Anahuac vorbeigezogen waren, hatte sie gespürt, wie sich alles in ihr danach sehnte, die Gruppe zu verlassen und mit ihrem Baby zum Texcoco-See zu ziehen. Dort war Chac.
    Sie verzehrte sich nach ihm, dachte Tag und Nacht an ihn. Aber ihm und auch dem Baby zuliebe konnte sie nicht mit ihm zusammensein. Solange er das Kind nicht zu Gesicht bekam, musste er annehmen, es sei das von Türkisrauch. Wenn er erfuhr, dass es von Balám war, würde der Rachedurst sein Leben zerstören. Deshalb hatte sie, als sie am Tal vorbei- und weitergezogen waren, immer wieder das Buch der tausend Geheimnisse zur Hand genommen, um sich vor Augen zu führen, weshalb sie diesen Weg verfolgte und was ihre Bestimmung war.
    Tenoch, ihr Baby, inzwischen drei Monate alt, schlummerte, sicher auf ein kleines Holzbrett gewickelt, auf ihrem Rücken.
    »Und wohin seid Ihr und all diese Leute unterwegs?«, erkundigte sich Oxmyx und angelte sich eine weitere süße Kartoffel. Zu Ixchels Entsetzen vergriff er sich damit bereits an dem, was den anderen zustand.
    »Wir sind Pilger und auf der Suche nach Aztlán«, sagte sie.
    Er grunzte. Seit Generationen suchte man dieses legendäre Aztlán. Wieso bildete diese Frau sich ein, sie würde es finden? Er zuckte mit den Schultern. Für ihn existierte Aztlán nur in der Phantasie. Wie der Jungbrunnen oder die Sieben Goldenen Städte, die seit Urzeiten in den Köpfen der Menschen herumspukten. Wahrscheinlich gab es Menschen, die einfach das Bedürfnis hatten, sich auf die Suche zu begeben, derweil andere lieber zu

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