Das Pestzeichen
sie den Hof überquerte, sah sie, dass der tote Hund nicht mehr da lag. Thomas hat sein Versprechen gehalten , dachte sie erleichtert.
Im abgebrannten Schuppen sammelte Susanna brauchbare Holzstücke in ihrer Schürze und trug sie zum Stall. Der Vater, der die Augen geschlossen hielt, schien zu schlafen. Beruhigt nahm sie den Eisentopf auf und ging hinaus zum Brunnen.
Susanna trug schwer an dem mit Wasser gefüllten eisernen Topf. Im Stall entzündete sie auf dem Lehmboden mehrere Holzscheite. Als diese fast niedergebrannt waren, legte sie rechts und links neben das glühende Holz Steine, auf die sie den Topf stellte, damit das Wasser erwärmt wurde. Müde kauerte sie sich neben das Feuer, als der Schäfer zurückkam.
Er reichte ihr ein Büschel Kamille und setzte sich zu ihr. »Du hattest recht, die Kräuter im Garten sind zertreten und nicht mehr zu gebrauchen. Ich habe in der Dunkelheit am Rand der Weide Kamille gefunden. Damit können wir einen Sud aufbrühen, der deinen Vater beruhigen wird. Mit der Kamille können wir auch seine wunden Füße waschen. Das wird die Heilung fördern.«
Susanna pflückte die Blütenköpfe von den Stielen und warf sie ins heiße Wasser. Mit einem Holzstück drückte sie die auf der Oberfläche schwimmenden Blüten unter und rührte sie um. Langsam verfärbte sich das Wasser und wurde zu einem dunklen Sud.
»Ich bin so hungrig«, nuschelte Thomas, als er Brot und Schinken auf dem Boden liegen sah. Lächelnd legte Susanna das Holz zur Seite und holte das Messer, um für beide eine dicke Scheibe Brot und ein Stück Schinken abzuschneiden.
Nachdem der Sud abgekühlt war, hob Susanna vorsichtig den Kopf ihres Vaters, der sie erschrocken anblickte. Sie beschwichtigte ihn leise: »Du musst dich nicht fürchten, Vater. Trink den Sud. Er wird deine Schmerzen lindern!«
»Ich werde dir die Füße damit übergießen«, warnte Thomas den Freund und goss die lauwarme Brühe über die Wunden des Bauern, der sogleich aufschrie.
»Es tut mir leid …«, murmelte der Schäfer, »aber das muss sein.« Und er tauchte zwei Leinenlappen in den restlichen Sud. Damit umwickelte er die Füße des Mannes, der wie ein Kind wimmerte und die Augen geschlossen hielt.
Als Susanna sah, wie dem Vater Tränen aus den Augenwinkeln liefen, hätte sie ihm gern die Lappen von den Füßen gerissen. Da sie aber sicher war, dass die mit Kamille getränkten Verbände die Wundschmerzen lindern würden, hockte sie sich neben ihn. Wie eine Mutter, die ihr Kind beruhigen will, strich sie dem Vater über die Stirn und summte ein Lied, das ihre Mutter stets gesungen hatte, wenn sich eines der Kinder unwohl fühlte. Der Mann entspannte sich, und als er eingeschlafen war, hauchte Susanna ihm einen Kuss auf die Wange. Sie ging zu Thomas, der gähnend am Feuer saß.
»Ich muss morgen wieder fort«, sagte er und blickte Susanna zerknirscht an. Als er ihr erschrockenes Gesicht sah, erklärte er: »Die Bauern warten auf ihr Vieh. Wenn ich nicht pünktlich erscheine, glauben sie, dass ich mit den Schafen abgehauen bin.«
»Kommst du wieder?«, fragte Susanna und schluckte schwer.
Der Schäfer nickte. »Sobald ich kann, werde ich zurückkommen und dir helfen, den Hof wieder herzurichten, damit ihr beide darin wohnen könnt.«
Beruhigt stand Susanna auf und legte sich dicht neben den Vater. Kaum hatte sie sich auf dem Boden ausgestreckt, schlief sie ein.
Susanna spürte im Schlaf, dass jemand sie anstieß. Vor Entsetzen riss sie die Augen auf und wollte losschreien, als sie erkannte, dass es ihr Vater war. Sie stützte sich auf dem Ellenbogen ab, um ihn anblicken zu können.
»Susanna?«, fragte er mit heiserer Stimme. Als sie nicht sofort antwortete, wiederholte er: »Susanna?« und schaute sie mit glasigen Augen an.
»Ich bin hier, Vater!«, versicherte Susanna ihm leise, um den Schäfer nicht zu wecken. Sie ergriff die Hand des Vaters und drückte sie zart. Er erwiderte den Druck und flüsterte: »Höre, Tochter! Sie werden wiederkommen und danach suchen!«
Susannas Stirn legte sich in Falten, und sie fragte: »Wer wird wiederkommen, und was wollen sie suchen?«
»Die Männer, die uns das angetan haben«, stammelte er. »Sie werden nicht eher ruhen, bis sie alle Gegenstände in ihren Besitz gebracht haben. Nur mit Hilfe der magischen Formeln können sie den Schatz finden.«
»Vater«, raunte Susanna ihm zu. »Du redest wirres Zeugs!«
»Hör mir zu«, forderte er und versuchte, seine Stimme streng klingen zu
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