Das Pestzeichen
am Reisen. Deshalb nennt man die Schweizer Söldner auch so.«
Urs schien zu verstehen und nickte.
»Du kannst dir sicher denken, dass mein Vater nicht sehr angetan war, schließlich wollte ich einem fremden Land dienen. Auch meine Mutter, deine Großmutter, versuchte mich umzustimmen«, erzählte Bendicht weiter. »Doch wie du weißt, ist es Tradition in unserer Familie, Soldat zu sein. Nachdem ich deinem Großvater versprochen hatte, nur einem Schweizer zu gehorchen, durfte ich ziehen. Ich fand einen Tross, in dem ich mitreisen konnte, und gelangte so in den Dienst eines Reisläufers. Im Laufe weniger Monate wusste ich, dass ich im Gegensatz zu deinem Vater nicht zum Soldaten geboren war. Allerdings hoffte ich, den Soldatenberuf zu erlernen. Der Krieg holte uns ein, und wir gerieten in einen Hinterhalt von schwedischen Soldaten. Es wurde ein entsetzliches Gemetzel.«
Bendichts Augen verrieten den Schrecken, den er damals erlebt haben musste. »Das Gebrüll der Menschen, der Kanonendonner, die Schreie der Pferde – mir gefror das Blut in den Adern, und ich war wie gelähmt. Ich brachte mich unter der Achse eines Fuhrwerks in Sicherheit. Und im Gegensatz zu vielen anderen überlebte ich. Heute entschuldige ich meine Feigheit damit, dass ich zu diesem Zeitpunkt unerfahren war.« Bendichts Stimme war kaum noch zu hören, und sein Blick wurde starr. Erinnerungen kamen zurück, an die er viele Jahre nicht gedacht hatte.
»Oheim?«, flüsterte Urs, als ob er Angst hätte, ihn zu erschrecken.
Bendicht blickte seinen Neffen fragend an. Der Bursche legte sich mit dem Oberkörper über die Holzplatte des Tisches. Dabei kam er dem Gesicht des Mannes so nahe, dass der dessen warmen Atem, der nach Zwiebeln und Bärlauch roch, erschnuppern konnte.
»Erzähl weiter«, forderte Urs ihn auf und setzte sich zurück auf den Stuhl. »Erzähl weiter«, bat er ein zweites Mal, und Bendicht nickte.
»Es gab zahlreiche Tote und viele Verletzte. Ich spüre heute noch den Griff der Hand an meinem Oberarm, die mich unter dem Wagen hervorzog. Ich schrie aus Leibeskräften und schlug um mich, denn ich fürchtete, dass der Feind mich packen würde. Aber es war der Wundarzt aus meinem Tross, der mich hochzog. Er verlor kein Wort darüber, dass ich mich versteckt hatte, sondern gab mir Anweisungen, die Verletzten zu versorgen. Als wir weiterzogen, blieb ich in seinem Dienst und lernte von ihm alles, was er wusste.«
»Was hat dein Vater gesagt, dass du kein Soldat wurdest?«
Bendicht schmunzelte. »Er war nicht begeistert, dass ich mit der Tradition brach. Aber da mein Arbeitsplatz das Schlachtfeld war, konnte er damit leben.«
»Was wurde aus deinem Lehrmeister?«, fragte der Junge.
Sein Oheim seufzte. »Während unseres Aufenthalts in Trier vor mehr als fünfzehn Jahren wurde die Stadt von den Franzosen durch spanische Truppen erobert, und der Kurfürst Philipp Christoph von Sötern wurde gefangen genommen. Auch wir waren Gefangene und durften Trier nicht verlassen, uns aber innerhalb der Stadtmauern frei bewegen. Mein Lehrmeister freundete sich mit dem Jesuiten Friedrich Spee an, der ihn bat, ihm bei der Versorgung der verwundeten und pestkranken Soldaten zu helfen. Beide steckten sich mit der Seuche an und starben im Jahr 1635 daran. Als ihre Türen mit dem schwarzen Kreuz gekennzeichnet wurden, um den Totengräbern zu zeigen, dass in diesen Häusern Pestkranke zu beerdigen sind, durchlief ein Schauder meinen Körper.«
Bendicht schlug das Buch vor sich auf und blätterte. »Seitdem suche ich eine Erklärung, warum die beiden Männer sterben mussten und ich noch lebe. Auch ich hatte Berührung mit den Kranken, doch ich blieb verschont. In allen medizinischen Schriften, die ich bis heute studiert habe, konnte ich keinen Hinweis darauf finden, warum manche Menschen an der Pest sterben und andere nicht. Wenn wir eine Erklärung dafür haben, dann finden wir auch ein Heilmittel. Dessen bin ich mir sicher«, murmelte er und schob das Buch zur Seite. Er erhob sich und forderte seinen Neffen auf: »Komm, Urs, und wasch dir die Hände.«
»Warum soll ich mir die Hände waschen?«, fragte der Bursche stirnrunzelnd.
Bendicht goss aus einem Krug Wasser in die Schüssel. »Weil an deinen Händen das Blut eines fremden Menschen haftet. Ich kann den Geruch riechen und finde ihn widerlich.«
Urs besah sich seine Hände und schnupperte daran. »Ich rieche nichts!«, murmelte er. Doch als er den fordernden Blick des Oheims sah, stand er auf,
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