Das Prinzip Uli Hoeneß
Eskalation des Medienhypes. Es ist kein bloßes Lippenbekenntnis, wenn der Zauberlehrling Hoeneß angesichts des – zum großen Teil von ihm selbst entfesselten – Medienspektakels wiederholt äußerte, dass er die Geister, die er gerufen hat, eigentlich gerne wieder los wäre. Natürlich wollte er, dass das Reality-TV »Säbener Straße« ein Quotenrenner für die Medien ist, natürlich wollte er massenhaft Bayern-Berichte in der Presse, aber er wollte nie, dass darüber der echte Sport zur Nebensache wird und die ernsthafte Begeisterung für den Fußballverein FC Bayern verloren geht.
Unter dem Manager Uli Hoeneß gelang den Bayern der Spagat über den Widersprüchen noch einigermaßen, und das ist wohl am meisten ihm selbst zu verdanken. Die Hoeneß-Bayern im Fußballzirkus – das war nicht »Lindenstraße«, »GZSZ« oder »Big Brother«, das war Realtheater mit authentischen Gefühlen. Und der »Mister Bayern«, als Hauptdarsteller mittendrin, spielte sich selbst und wirkte dabei von allen Stars am echtesten. Wie ein auf Schritt und Tritt von Kameras beobachteter moderner Renaissance-Fürst lebte er eine Emotionalität vor, die vielen verloren gegangen ist. Sein Temperament machte ihn zur angreifbaren Reizfigur, aber auch zum Aushängeschild deutscher Vereins-Heimatseligkeit und auf jeden Fall zum interessantesten und unterhaltsamsten Protagonisten des großen Fußballtheaters. In gewisser Weise kann man Hoeneß als den »echtesten« Star in der deutschen Medienlandschaft bezeichnen: keine Fiktion, sondern pure Identifikation, alles echt, mal ernst und mal lustig, mal heiß- und mal kaltblütig im steten Wechsel eines unbestimmten Temperaments, aber immer unterhaltsam, kurz: das pralle Leben, vor laufender Kamera zelebriert. Es ist wohl kaum jemand vorstellbar, der die voyeuristische Lust am Beobachten echten Lebens und Leidens so perfekt befriedigen könnte wie Uli Hoeneß.
Das »Prinzip Uli Hoeneß« zeigt sich somit als eine Art emotionales Gesamtkunstwerk. Gleich, was Hoeneß tat – er wirkte in all seinem Tun immer glaubwürdig. Hoeneß nahm man alles ab, selbst wenn er mit kühlem Kalkül vorging, denn noch hinter jeder fiesen Berechnung konnte man eine echte Emotion und erdige Triebe wahrnehmen. So ein »fleischiger« Typ wie er hatte im Zeitalter aalglatter Managermasken einen Seltenheitswert. Man kann sogar noch weiter gehen. In einer Gesellschaft, die nicht nur ihre Werte, sondern im immer virtueller werdenden Spiel immer leerer wirkender Identitäten neben dem Verlust von Orientierungsmustern auch einen Mangel an richtigen Typen zu beklagen hat, wirkt ein als Fan geerdeter, deftiger und anstößiger Triebmensch wie Hoeneß noch kräftiger und interessanter.
Bliebe zuletzt noch ein Wort zum Moralisten Hoeneß. Seine auf die gesamte Gesellschaft ausgedehnte Klage über den Mangel an Leistungsbereitschaft und die Gefahren des Werteverlustes findet ihren Ausgangspunkt in seinem Dasein als Patriarch und oberster Fan des FC Bayern. Er zeigte sich als guter Mensch mit ausgeprägtem Mitgefühl für alle Mitglieder der Vereinsfamilie. Sobald er jedoch sein Bayern-Patriarchat zugleich als Modell für die gesamte Bundesliga und sich selbst als allgemein-moralisches Vorbild setzen wollte, verwickelte er sich in unaufhebbare Widersprüche. Man kann nicht zugleich Bayern-Fan sein und ein papstähnlicher Oberhirte aller Fußballfans. So hielt denn Uli Hoeneß seine ethischen Überzeugungen immer nur solange durch, wie sie die elementaren Interessen der Bayern nicht beeinträchtigten. Sonst wurde er kalt und manchmal eiskalt, dann hatte der allgemeine Moralist Hoeneß Pause, dann war er ausschließlich ein Moralist für den FC Bayern.
Eines ist unbestritten: Uli Hoeneß war als Manager des FC Bayern der letzte echte Fan unter den Machern im deutschen Fußball und insofern ein Unikat. Wenn er geht, wird er nicht nur beim FC Bayern eine kaum zu schließende Lücke hinterlassen. Noch wird er bleiben, in anderer Funktion als gewohnt. Durchaus vorstellbar ist, dass der neue, sicher nun zurückgezogener agierende Hoeneß, der Präsident und Aufsichtsratsvorsitzende des FC Bayern, im Zuge einer sich bereits ankündigenden Altersweisheit etwas großzügiger und souveräner wird. Vielleicht gibt er von seiner massiven Liebe für den FC Bayern ein wenig für seine Liebe am Fußballspiel ab.
Denn das ist er ja auch: ein echter Fan des Fußballspiels. Uli Hoeneß liebt den Fußball, Uli Hoeneß lebt den Fußball,
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