Das Prinzip Uli Hoeneß
Volkshelden der Bundesliga, hatte die Geschäftsmäßigkeit der neuen Rituale drastisch beklagt: »Wenn die Stars dann die Hände der Fans abklatschen, könnte ich kotzen.« Uli Hoeneß sah die Entwicklung Mitte der neunziger Jahre, als der Fußball-Vermarktungsboom eingesetzt hatte, ebenfalls recht skeptisch, wenn auch unausweichlich: »Die alten Werte und Sentimentalitäten werden zwar immer wieder beschworen, aber wiederkommen werden sie nicht mehr.«
Doch es ist ja nicht nur den Profis mangelnde Echtheit vorzuwerfen. Es ist genauso zu fragen, wie »echt« die Begeisterung der Fans heute noch ist. In Zeiten schwierig gewordener Identifikationsmechanismen haben es die Fans gelernt, sich selbst Gefühle einzuimpfen und mit vollem Engagement heiße Begeisterung für »ihre« Mannschaft zu leben. Man ist heute hauptsächlich deswegen Fan, weil man Fan sein will – und nicht mehr deswegen, weil es irgendeine besondere Nähe zu den Spielern auf dem Rasen oder eine tatsächliche soziale Verbindung zum Verein gibt. Urwüchsige Leidenschaft gibt es heute nur noch bei einer lokal geerdeten Anhängerschaft, und die fällt bei den Bayern, deren Fanpotenzial sich nur zu einem geringen Teil aus München rekrutiert und ansonsten vom »Image« lebt, recht mager aus. Auch diese Tatsache trägt wohl einen Teil dazu bei, dass in der Allianz Arena zuweilen eine vergleichsweise maue Stimmung herrscht.
Leidenschaft, Kontinuität und Loyalität, vom Management über die Spieler bis hin zu den Fans, sind die Zauberworte, mit denen Hoeneß den Auswüchsen eines durchkommerzialisierten Showbusiness begegnen will: »Man muss seinen Verein lieben«, forderte er geradezu kategorisch. Aber kann ein Fußballverein heute tatsächlich noch so etwas wie eine Großfamilie sein? »Sie wirken zerrissen«, hielt der »Tagesspiegel« dem Bayern-Manager einmal vor. »Sie sind ein nüchtern kalkulierender Geschäftsmann, ein harter Realist, andererseits sind Sie ein unglaublich sentimentaler Kerl.« Hoeneß: »Ja. Damit fühle ich mich sehr genau beschrieben.« Der Bayern-Manager hat in den drei Jahrzehnten seines Wirkens unermüdlich versucht, zwei Welten zusammenzuzwingen nach dem Motto: Der Verein ist ein Konzern, aber der Konzern ist immer auch noch eine Familie. Nur: Der Verein wird ein Konzern bleiben. Aber eine Familie ohne Oberhaupt wird keine Familie mehr sein. Nicht irgendwelche Spieler, so hat man den Eindruck, sondern die Männer aus der Chefetage erwiesen sich über die Jahre als die wichtigsten Identifikationsfiguren bei den Bayern. Was, so möchte man fragen, soll nur aus den Bayern werden, wenn bei ihnen einmal nur noch Geschäftsleute das Sagen haben? Wird der Verein ohne seine Seele, ohne Uli Hoeneß, noch der große, unverwechselbare FC Bayern sein?
Hoeneß ist ohne Frage als romantisch-konservativer Ober-Fan und sozial eingestellter Patriarch alter Schule eine Ausnahmeerscheinung im immer schnelllebiger werdenden Fußball-Unterhaltungsgeschäft. Und eben weil er ein Sonderfall ist, taugt er kaum als Modell für die Zukunft. Ein »Familiendenken« à la Hoeneß hängt ab von starken Figuren, die Kontinuität garantieren und einen hohen Identifikationswert haben. Solche starken Figuren gibt es kaum noch. Stattdessen stehen neue, kalte Investoren ohne Herzblut vor den Türen der Vereine, mit Angestellten, die statt Fußballunterhaltung ebenso auch Handys verkaufen könnten.
Damit Milliardäre à la Abramowitsch bei den Bayern einsteigen könnten, bräuchte es eine Satzungsänderung und dafür 75 Prozent der Mitgliederstimmen. »Die würden wir aber nicht bekommen, und ich verstehe das auch«, meinte Hoeneß, denn: »Investoren kommen und gehen, die haben kein Herzblut.« Bei einer fremden Übernahme würden die Anhänger auf die Barrikaden gehen. »Fans lieben ihren Verein, sie sagen: ›Wenn irgendein Russe kommt, ist das nicht mehr mein Klub.‹« Vielleicht ändert sich aber die Meinung der Mitglieder und Fans rascher, als man denkt. Denn nur dann, wenn ein neureicher Russe, ein Scheich oder ein amerikanischer Milliardär kommt, besteht ja die Aussicht, dass einmal die beste Mannschaft der Welt im Bayern-Trikot aufläuft.
Sicher ist: Mit Uli Hoeneß – sei es als Manager, als Präsident oder als was auch immer – wird so etwas nicht geschehen. Solange er noch irgendetwas zu sagen hat beim FC Bayern, wird er gegen den Ausverkauf des Vereins kämpfen; denn ein von fremden Mächten gekaperter Verein wäre nicht mehr sein FC
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