Das Prinzip Uli Hoeneß
Hoeneß-Nachfolger eingestellt, mit dem niemand gerechnet hatte: der 36-jährige Ex-Bayern-Spieler Christian Nerlinger, der erst im Vorjahr als absoluter Newcomer zum Teammanager der Bayern ernannt worden war. »Ich sehe bei Christian in vielen Dingen den jungen Uli Hoeneß«, begründete der alte Uli Hoeneß seine Entscheidung. Der sei wie er ein gradliniger Charakter mit eigener Meinung.
Gleichzeitig kündigte der Noch-Manager an, seinen angestammten Platz auf der Bayern-Bank zur Saison 2009/10 zu räumen. »Jetzt muss endlich mal der Wechsel auf die Tribüne sein. Ich mache das lieber, bevor die Fans rufen: Der alte Dackel soll endlich mal einem Jungen auf der Bank Platz machen.«
Hoeneß’ Plan war, den jungen und noch unerfahrenen Nerlinger ein halbes Jahr anzulernen. »Christian muss ja nicht gleich wie ich bei Maybrit Illner auftreten«, meinte er. Aber er werde mit der Zeit schon reifen. Und natürlich, fügte er hinzu, »wäre es schön, wenn er irgendwann auch auf dieser Klaviatur spielen könnte«. Der Mann mit dem Titel eines Sportdirektors, schon als Spieler einer vom Typus »Wasserträger«, fügte sich in die Rolle des Lehrlings. Nach der Einarbeitung wolle er sich dann »auch mal freischwimmen«, meinte Nerlinger bescheiden, damit sich der Aufsichtsratsvorsitzende auf »die großen, entscheidenden Dinge« konzentrieren könne. Er habe gar nicht vor, seinem Vorgänger gleichzukommen, denn ein Uli Hoeneß habe sich in 30 Jahren eine Kompetenz und eine mediale Wirkung aufgebaut, die nicht kopierbar sei. Von dem zweiten Hoeneß-Nachfolger, dem Manager fürs Geschäftliche, dürften ähnliche Statements zu erwarten sein. Denn auch er wird vermutlich kein wirklicher Nachfolger sein, keiner, der anstelle von Hoeneß die Arbeit aufnimmt, sondern unter Hoeneß. Solange der im Verein ist, wird er die Fäden nicht aus der Hand geben.
Einen wirklichen Nachfolger für Uli Hoeneß wird es vorerst nicht geben, denn ein Hoeneß kann nicht loslassen, jedenfalls nicht seinen Verein. Zwar hatte er während der lange Zeit erfolglosen Nachfolgersuche geäußert, das Weitermachen wäre ein »worst case«. Aber ist die Ernennung von »Nachfolgern«, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach nie von einem starken Ober-Chef Hoeneß werden emanzipieren können, nicht ebenfalls ein Weitermachen – also der »worst case«? »Ein Uli Hoeneß lässt den FC Bayern nie im Stich«, sagte Uli Hoeneß. »Und wenn irgendein Problem entsteht, würde ich zur Not hier sogar den Platzwart machen.« Das möchte man ihm glauben. Doch wenn er den Platzwart machen würde, dann wäre der FC Bayern eben der erste Verein, bei dem der Platzwart der entscheidende Mann ist.
Kurz nach seiner Wahl zum Bayern-Präsidenten zeigte er bereits, dass sein Abschied aus dem Tagesgeschäft keineswegs sein Verschwinden aus dem laufenden Geschehen bedeuten würde. Gleichsam als Wahrer der Bayern-Philosophie gab er die Losung aus: »Wir müssen wieder das ›Mia san mia‹ leben, dürfen uns nicht von außen anpinkeln lassen und müssen uns mehr wehren – nicht mehr auch noch die andere Backe hinhalten. Wir müssen wieder der Klub werden, der selbstbewusst und gnadenlos seine Ziele verfolgt. Und am Ende auch verwirklicht.« Und tatsächlich verwirklichten die Bayern mit Trainer van Gaal bereits nach einem halben Jahr Hoeneß-Präsidentschaft bis auf den Sieg im Finale der Champions League fast alle Ziele – und erstaunlicherweise wirkten sie dabei eigentlich gar nicht gnadenlos, sondern gewannen mit ihren erfrischenden Auftritten viele Sympathien.
Der Gescheiterte
In der Art und Weise, wie Hoeneß an die Frage seiner Nachfolgeregelung heranging, lassen sich wesentliche Grundzüge seines Charakters geradezu idealtypisch ablesen. Es zeigt sich ein Fußballverrückter, der nicht loslassen kann; ein Machtmensch, der die Kontrolle nicht abgeben will; ein Familienpatriarch, der seine Sippe nach alter Väter Sitte zu regieren trachtet. Irgendwie erinnert das alles ein wenig an einen Renaissance-Fürsten im Stile der Medici. Der Vergleich ist nicht zufällig gewählt, denn tatsächlich lag ja im Florenz des 15. Jahrhunderts die Wurzel des als Event zelebrierten Fußballspiels, des Calcio. Als Renaissancefürst in Florenz hätte sich ein Uli Hoeneß sicher äußerst wohlgefühlt. Er hätte sich gefallen als Veranstalter opulenter Spiele auf den großen Plätzen der Stadt. Er hätte als Anhänger des großen Machttheoretikers Macchiavelli nicht nur alle Taktiken
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