Das Prinzip Uli Hoeneß
um die Bezirksmeisterschaft«, erzählte er, und die zu versäumen, hätte ihn »todunglücklich« gemacht. Der Jugendleiter wollte ihn trotz allen Bittens aber nicht weglassen, und so blieb ihm nur eines: heimlich auszubüchsen. Er schwang sich auf sein Fahrrad, radelte von Memmingen nach Ulm – eine Strecke von 60 Kilometern – und kam beim Stand von 0:4 an. Schnell lieh er sich von einem Mitspieler Fußballschuhe. »In der Halbzeit wurde ich, noch verschwitzt und zittrig, eingetauscht.« Uli schoss vier Tore – und der VfB gewann am Ende mit 6:4. »Das war ein Sieg!«, schwärmte er noch als Fünfzigjähriger. Selbst seine Mutter war hernach so stolz auf ihn, dass sie ihm die heimliche Radtour nicht mehr übel nahm. »Im Gegenteil: Sie setzte mir meinen Lieblingskuchen vor, den ich mir bis heute noch nicht abgewöhnt habe: Erdbeerkuchen. Es war das einzige Mal bisher, dass ich ihn stehen ließ: Mit dem Löffel in der Hand schlief ich ein.«
Der Traum vom großen Fußball
Im Jahr 1965 verließ der dreizehnjährige Uli Hoeneß den VfB Ulm, bei dem er fast acht Jahre lang zusammen mit seinem Bruder Dieter gekickt hatte, und wechselte zum ambitionierteren Lokalrivalen TSG Ulm 1846. Am 9. Oktober desselben Jahres trat er erstmals vor großer Kulisse an: in einem Vorspiel zum Länderspiel Deutschland gegen Österreich. Uli spielte so gut, dass er anschließend für die Schülerauswahl Württembergs nominiert wurde. Es folgten die süddeutsche Auswahl und schließlich der DFB. Zielstrebig näherte er sich seinem Ziel, einmal ein berühmter Fußballprofi zu werden. Noch allerdings war es nur ein Traum. Ein Traum, den er im Sommer 1966 ganz besonders intensiv träumte. Auf Einladung eines Lehrers aus Nuneaton, den er kennen gelernt hatte, durfte er zur WM nach England fahren. Am 23. Juli sah er in Sheffield, beim 4:0 der deutschen Nationalelf gegen Uruguay, wie der Stern des späteren »Kaisers« Franz Beckenbauer aufging – und das Herz schlug ihm bis zum Hals im brennenden Wunsch, »einmal neben diesem gottbegnadeten Fußballer in einem Verein oder in der Nationalelf spielen zu können«.
Uli Hoeneß besuchte inzwischen das Schubart-Gymnasium in Ulm und erwies sich dort als sehr guter Schüler. Mutter Paula war stolz und zufrieden und hoffte, dass ihre Söhne über Abitur und Studium zu einem anerkannten Beruf und einem guten Auskommen gelangen würden. Uli hatte jedoch andere Pläne, er hatte sich den Fußball als Königsweg ausgesucht, um sich aus den kleinen Verhältnissen seines Elternhauses zu befreien. »Ich wollte nach oben, ganz klar«, bekannte er viele Jahre später als erfolgreicher Bayern-Manager in zahlreichen Interviews. »Ich wollte die soziale Leiter hochsteigen.« Schon dem Jugendlichen war klar: Er hatte Talent und im Vergleich zu den Gleichaltrigen auch eine bemerkenswerte physische Grundausstattung, aber er würde sich dennoch anstrengen müssen. Selbstkritisch gestand sich der Vierzehnjährige ein, dass er vor allem an Ausdauer und Schnelligkeit intensiv arbeiten musste. Und so ließ er sich von seinem Vater jeden Morgen um sechs Uhr wecken, um noch vor der Schule eine Stunde durch die Wälder Ulms zu rennen. Später baute der Gymnasiast das Programm noch aus. Er stand morgens um vier Uhr auf, erledigte seine Schularbeiten, eilte um sechs zum Trainingsplatz, drückte von acht bis eins die Schulbank und machte nachmittags wieder Dauerläufe. Mit achtzehn lief er die 100 Meter in elf Sekunden und wurde in Ulm Winterwaldlaufmeister über 2.000 Meter.
In dieser Zeit hatte Uli Hoeneß die Grundlage gelegt für die starke Physis, die ihn zum Weltmeister und »Jung-Siegfried« des deutschen Fußballs machen sollte. »Mir wird nachgesagt, ich sei der Mann mit der Pferdelunge«, wird der 22-jährige Hoeneß auf dem Höhepunkt seiner noch jungen Karriere äußern. »Worüber ich nicht immer so überglücklich war. Denn das klingt so nach: Der kriegt seine Gegenspieler nur durch seine schnellen Beine und durch Ausdauer klein.« Gleichwohl bekam er diesen Ruf nie ganz los. Noch in der Laudatio zum 50. Geburtstag des Bayern-Managers wird Franz Beckenbauer charmant mäkeln: »Wie er als Fußballer war? Na ja, er ist viel in den Wald gegangen, ein bisschen viel im Wald herumgelaufen. Es wäre vielleicht gescheiter gewesen, ein bisschen die Ballfertigkeit zu schulen.« Diese Kritik konnte, nach so vielen gemeinsam errungenen Erfolgen, nicht mehr böse rüberkommen. Einen wahren Kern enthielt sie dennoch.
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