Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Autotür zugeschlagen, öffnete sich schon die Haustür des Bungalows. Heraus trat eine zierliche Frau. Ich schätzte sie auf Ende fünfzig. Sie blickte mich aus wachen, stahlblauen Augen ohne jede Feindseligkeit an. Als junge Frau musste sie sehr hübsch gewesen sein. Das Leben war jedoch nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Ihre blonden Haare waren von ersten grauen Strähnen durchzogen. Um die Augen herum hatten sich kleine und größere Falten eingegraben, die von traurigen Erlebnissen zeugten. Sie kam mit energischen Schritten auf mich zu und hielt mir ihre Hand entgegen. Ihre gesamte Körperhaltung war nicht ohne Stolz, ihr Händedruck fest.
»Ich bin ein wenig früh«, sagte ich entschuldigend.
»Kommen Sie herein, ich habe einen frischen Kaffee für Sie, und wenn Sie sich benehmen, auch ein Stück Kuchen.«
Sie drehte sich um und marschierte mit einem solchen Tempo zurück ins Haus, dass ich Mühe hatte, ihr zu folgen. Kaum hatten wir die Türschwelle überschritten, schienen wir in eine andere Welt gekommen zu sein. So vernachlässigt es draußen auf dem Hof gewirkt hatte, so penibel ordentlich und aufgeräumt war das Innere des Bungalows. Er bestand aus nur drei Räumen. Die Hausherrin führte mich in das Wohnzimmer. Dort war bereits für zwei Personen eingedeckt. Wir setzten uns, und sie schenkte mir Kaffee ein.
»Ich denke, Sie trinken ihn schwarz«, erklärte sie und schaute mich dabei mit einem durchdringenden Blick an. Ich nickte, und sie musterte mich einen langen Augenblick. »Ist es üblich, dass Sie die Gegner Ihrer Mandanten persönlich aufsuchen?«
Ich schüttelte den Kopf und nahm, auch aus Verlegenheit, einen Schluck vom Kaffee.
»Brauche ich für diese Unterredung einen Rechtsanwalt?«, fragte sie. »Ich könnte jemanden anrufen. Er kommt auch am Samstag: ein Freund meines verstorbenen Ehemannes.« Dann fügte sie mit entwaffnender Ehrlichkeit hinzu: »Ein lieber Kerl, aber leider kein besonders guter Anwalt.«
Ich schüttelte abermals den Kopf. »Nein, ich denke, es ist nicht notwendig.«
Meine Gastgeberin nickte zufrieden. Sie nahm den Tortenheber und gab jedem von uns ein Stück von einem Apfelkuchen, der in der Mitte des Tisches stand.
»Ich habe keine Sahne«, sagte sie mit einem Lächeln. »Ich hoffe, es schmeckt Ihnen auch ohne.«
»Das ist gut«, entgegnete ich, erwiderte ihr Lächeln und legte meine rechte Hand auf meinen Bauch. »Also … Sie sagten am Telefon, mein Mandant, Herr Kiesewitz, sei ein Mörder?«
Sie zögerte. Schon befürchtete ich, sie würde zurückrudern.
»Nicht nur ein Mörder, sondern auch ein Vergewaltiger und Betrüger«, bemerkte sie nüchtern.
Ich atmete tief durch und legte die Kuchengabel auf dem Teller ab. »Sie müssen wissen … er ist mein Mandant. Ich habe nur die Fakten des aktuellen Falls zu berücksichtigen …«
Sie lachte auf. »Wenn es so wäre, dann hätten Sie sich wohl nicht die Mühe gemacht, hierherzufahren!«
Ich wusste nicht, was ich darauf entgegnen sollte.
»Ich hole mir einen Cognac, und dann erzähle ich Ihnen, was Sie über Ihren Mandanten wissen müssen«, fuhr sie fort. »Möchten Sie auch einen?«
Ich hob abwehrend die Arme. »Ich muss noch fahren.«
Sie ging zu der Anrichte am anderen Ende des Zimmers, öffnete die Schranktür und schenkte etwas ein. Dann kam sie mit zwei Gläsern zurück und stellte eines vor mir ab. Als sie merkte, dass ich protestieren wollte, legte sie mir für einen kurzen Moment beschwichtigend die Hand auf den Unterarm.
»Lassen Sie«, sagte sie. »Sie werden ihn brauchen.«
Sie setzte sich und schaute mich lange schweigend an. Offenbar suchte sie nach einem geeigneten Anfang für ihre Geschichte.
»Es gab eine Zeit, als Ihr Mandant und mein Siggi befreundet gewesen sind. Sie wuchsen in derselben Gegend auf. Es war keine schöne Gegend.«
Ich lauschte, ohne mich zu bewegen.
»Eines Tages zerstörte etwas diese Freundschaft«, fuhr sie fort. Ich blickte sie fragend an, und sie zeigte auf sich selbst. »Ich. Wir lernten uns an einem Tanzabend kennen. Eine Freundin von mir war auch dabei. Aber Ansgar und Siggi interessierten sich nur für mich. Ich mochte beide gern, damals war Ansgar noch … anders.« Sie verzog angewidert das Gesicht. »Aber ich verliebte mich in Siggi.«
Tief atmete ich durch. Ich hatte nicht damit gerechnet, in ein Liebesdrama verwickelt zu werden. Schon begann ich zu bereuen, den Weg nach Göttingen auf mich genommen zu haben. Ich blickte auf den halb leeren
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