Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Kaffee vor mir, den Rest Kuchen auf meinem Teller. Was zum Teufel machte ich hier? Ich war Patentanwalt.
»Ansgar ist nie damit zurechtgekommen, dass ich mich gegen ihn und für Siggi entschieden habe. Er brach den Kontakt zu uns ab. Eines Tages traf ich ihn auf dem Geburtstag einer Freundin wieder. Ich war dort ohne Siggi hingegangen. Siggi hatte die Firma von seinem Vater übernommen. Sie stand eigentlich ständig vor dem Bankrott, und Siggi musste zu dieser Zeit viel arbeiten. Ansgar hingegen fiel das Geld nur so zu. Ich vermute, weil er unehrlichen Geschäften nicht abgeneigt war. An jenem Abend wurde viel getrunken. Ansgar und ich waren da keine Ausnahme. Irgendwann gingen alle Gäste fort; nur wir beide blieben noch da. Die Gastgeber hatten sich irgendwohin zurückgezogen, vermutlich zum Vögeln.«
Beim letzten Wort zuckte ich zusammen. Ich versuchte vergeblich, meine Reaktion zu verbergen. Für einen kurzen Moment huschte ein Lächeln über ihre Lippen, erstarb aber sofort wieder.
»Ansgar fiel über mich her. Ich versuchte mich zu wehren – schrie, biss ihn. Aber ich war zu betrunken. Er hat mich vergewaltigt.«
Ich spürte, wie ein Schauer über meinen Rücken lief, und sah meinen Mandanten vor mir, wie er vor einigen Tagen noch mit seiner getönten Brille und seiner jungen Frau in meinem Konferenzraum gesessen hatte. Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte.
»Haben Sie ihn angezeigt?«, fragte ich schließlich.
Sie machte ein verächtliches Geräusch. »Nein, habe ich nicht. Wer hätte mir schon geglaubt? Das Wort einer stark betrunkenen jungen Frau zählt nicht viel. Zumal ich früher auch kein Kind von Traurigkeit war.«
»Und Siggi … Entschuldigung, ich meine Ihren Mann?«, fragte ich.
»Er hat Ansgar fast totgeschlagen. Ich musste ihm gar nicht viel erzählen. Er hatte nur meine Verletzungen gesehen und mich gefragt: ›Wer?‹ Kaum hatte ich den Namen genannt, stürmte er los. Er erwischte ihn zu Hause in seinem Bett, wo er seinen Rausch ausschlief. Er hat die Tür eingetreten und mit einer Nachttischlampe auf ihn eingeprügelt. Ansgar überlebte nur, weil ein Nachbar eingriff. Ansgar kam ins Krankenhaus. Er verlor sein rechtes Auge.«
Deswegen also die Sonnenbrille, dachte ich.
Sie nahm einen Schluck von ihrem Cognac. »Siggi musste ins Gefängnis. Ein Jahr saß er ab.«
»Und die Vergewaltigung?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ansgar wollte Rache. Er lauerte auf die Gelegenheit, sich an Siggi zu rächen. Und er bekam sie.«
Ich spürte, wie die Anspannung in mir wuchs. Nun schienen wir zu dem Punkt zu kommen, der für meinen Fall eine entscheidende Rolle spielte.
»Während Siggis Haft hatte ich das Unternehmen weitergeführt und sogar ausgebaut«, fuhr sie fort. »Nachdem Siggi endlich frei war, wuchs unser Betrieb zu einem mittelständischen Unternehmen mittlerer Größe. In guten Zeiten waren bis zu hundertzwanzig Arbeiter und Angestellte bei uns beschäftigt. In Vollzeit!« Stolz schwang aus ihrer Stimme. »Die meisten unserer Kunden kamen aus Asien. Daher traf uns die Asienkrise besonders hart. Plötzlich hatten wir riesige Außenstände und gerieten in Zahlungsschwierigkeiten. Wir brauchten dringend Kapital. Doch die Banken verlangten horrende Darlehenszinsen und sperrten gleichzeitig unsere Kreditlinien.«
»Lassen Sie mich raten«, unterbrach ich sie. »In dieser Phase kam Ansgar um die Ecke.«
Sie lächelte bitter. »Nicht direkt. Wir hätten niemals mit Ansgar Geschäfte gemacht, und das wusste er. Aber es kam ein Investor aus Bayern, der Interesse zeigte, bei uns einzusteigen, und zwar zu besten Konditionen. Wir hatten gar keine andere Wahl, als nach dem rettenden Strohhalm zu greifen.« Sie stockte. »Doch schon bald kam das böse Erwachen. Der Investor verkaufte sein Darlehen weiter …«
»… und zwar an Ansgar«, beendete ich den Satz.
Sie nickte. »Wir dachten, dies sei nicht möglich. Aber die Verträge, die wir in aller Eile geschlossen hatten, gaben das her. Ich sagte ja, unser Anwalt ist nicht besonders gut.« Ein bitteres Lächeln huschte über ihre Lippen. »Plötzlich war Ansgar unser größter Gläubiger.«
Ich konnte die Verzweiflung nachempfinden, die damals in diesem Wohnzimmer geherrscht haben musste.
»Kurz darauf saß er dort, wo Sie jetzt sitzen. Auf genau dem Platz. Und hier, auf meiner Seite, saßen ich und … Siggi.«
Ich fühlte mich plötzlich unwohl auf meinem Sitz.
»Ansgar hatte alles genau geplant. Er drohte damit, das Darlehen
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