Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
ich mit einem gequälten Lächeln und schaute auf den Fußboden.
Mit gesenktem Kopf folgte ich der blauen Linie.
128
Cassel, 1727
Drei Tage war der Leichnam aufgebahrt gewesen. Nun galt es, ihn der Erde zu übergeben. Orffyreus hatte sich bei der Hofschneiderei in Cassel neu einkleiden lassen. Auch Jonas, Elias und David waren mit neuen Kleidern ausgestattet worden. Der Hofmeister war dabei behilflich gewesen, die Einladungen für das Leichenbegängnis zu verteilen.
Orffyreus schaute sich im Spiegel an. Seine Augen waren rot umrändert, seine Haut wirkte porös und blass. Es klopfte an der Tür. »Herein!«, rief er.
Die neue Magd, gerade sechzehn Jahre alt, öffnete die Tür und blickte schüchtern hinein. »Dort unten sind mehrere Herren, die Euch sprechen möchten!«, sagte sie unsicher.
»Geht es um das Begräbnis?«, fragte Orffyreus erstaunt.
»Ich glaube nicht.«
Orffyreus folgte ihr und stieg die Treppe hinunter. An deren Fuße warteten fünf Soldaten. »Schickt der Landgraf Euch wegen der Beerdigung?«, fragte er und blieb unschlüssig auf der vorletzten Stufe stehen. »Ihr seid zu früh! Es wäre besser, Ihr wartet draußen. Der Sarg wird erst in einer Stunde abgeholt!«
Der Anführer der Soldaten nahm seinen Hut ab und drückte ihn mit beiden Händen gegen seinen Bauch. »Wir sind nicht wegen des Trauerfalls hier.« Er gab sich Mühe, gebieterisch zu klingen.
Orffyreus schaute stirnrunzelnd auf ihn herab.
»Wir müssen Euch bitten, uns nach Cassel zu begleiten!«, ergänzte der Offizier.
»Weshalb? Ich habe keine Zeit! Meine Frau wird heute Nachmittag beerdigt!«
»Dazu unser aufrichtiges Beileid, mein Herr. Aber wir können leider keinen Aufschub gewähren. Bitte folgt uns!« Es klang wie ein Befehl.
Orffyreus wurde ärgerlich. »In einigen Augenblicken beginnt die Trauerfeier, ich gehe nun nirgendwohin!«, raunzte er die Soldaten an.
Der Offizier bemühte sich, Haltung zu bewahren. »Wenn Ihr Euch weigert, müssen wir Euch leider mit Gewalt nach Cassel bringen!« Seine Begleiter zogen ihre Rapiere.
Orffyreus schaute auf die Waffen in ihren Händen. »Wollt Ihr mich etwa verhaften?«
»Sozusagen.«
»Aber weshalb?« Orffyreus blickte ihn erstaunt an.
»Das kann ich Euch nicht sagen!«, entgegnete der Offizier. »Und nun folgt mir bitte!« Zwei Soldaten stiegen auf die Treppe und nahmen Orffyreus in ihre Mitte.
Orffyreus erkannte, dass Widerstand zwecklos war. »Nicht am Tage des Begräbnisses meiner Frau!«, bat er beinahe flehentlich. »Wartet dies wenigstens noch ab, danach folge ich Euch, wohin Ihr wollt!«
»Ich fürchte, darauf können wir keine Rücksicht nehmen«, antwortete der Offizier verlegen. »Befehl ist Befehl!« Er gab den beiden Soldaten neben Orffyreus ein Zeichen, und sie packten ihn links und rechts am Arm.
Orffyreus versuchte nur für einen kurzen Moment, die beiden abzuschütteln, dann ergab er sich. Einer der Soldaten öffnete die Haustür, und die Gruppe machte sich auf, das Haus zu verlassen.
»Sagt dem Landgrafen Bescheid!«, rief Orffyreus der Magd zu, die verängstigt neben der Treppe stand.
»Wem?«, fragte sie irritiert.
»Dem Landgrafen!«, brüllte Orffyreus, während die Tür sich langsam hinter ihm schloss.
Die junge Magd lief in das Dienstbotenzimmer im Erdgeschoss, riss sich die Schürze vom Leib und warf sie auf den Fußboden. Dann griff sie nach ihrem Mantel und eilte durch den Kücheneingang schnell hinaus auf die Straße. Ihr Weg führte sie direkt nach Hause.
Für diesen Herrn würde sie keinen zweiten Tag arbeiten.
129
Julia wirkte auf seltsame Weise konzentriert.
Zwar waren ihre Augen geschlossen, doch ihr Gesicht machte keinen entspannten Eindruck. Stirn und Augenbrauen waren zusammengekniffen, als ob sie angestrengt über irgendetwas nachdachte. Mund und Kinn konnte ich nur undeutlich wahrnehmen, da sie von den Schläuchen für die künstliche Beatmung verdeckt wurden.
Ich hatte neben ihr am Bett Platz genommen, nachdem die Schwestern mich vor Betreten ihres Zimmers mit blauer Schutzkleidung ausgestattet hatten. Eine meiner Ansicht nach viel zu junge Ärztin hatte mich zuvor in nüchternem Ärztedeutsch über Julias Zustand aufgeklärt. Sie hatte bei ihrem Sturz ein Schädel-Hirn-Trauma und verschiedene Knochenbrüche erlitten.
Am meisten Sorgen bereiteten den Ärzten dabei die Kopfverletzungen. »Die nächsten zweiundsiebzig Stunden sind entscheidend«, sagte die Ärztin. »Wir werden versuchen, sie langsam aus dem künstlichen
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