Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
vermeiden ließ. Elza mochte darauf brennen, ihn bis zur Letzten Schlacht durchhalten zu sehen, aber es gab zu viele andere, die ihn stürzen sehen wollten, und es waren nicht nur Schattenfreunde.
In diesem Augenblick der Schwäche griff der Tote nach Saidin . Rand konnte fühlen, wie er gierig danach krallte. War es schwerer als früher, ihn zurückzustoßen? In mancherlei Hinsicht schien Lews Therin seit Shadar Logoth ein soliderer Teil von ihm zu sein. Es spielte keine Rolle. Er hatte nur noch ein kleines Stück zu gehen, bevor er sterben konnte. Er musste es nur bis dahin schaffen. Tief Luft holend ignorierte er die lauernden Spuren der Übelkeit in seinem Magen und marschierte ins Wohnzimmer, angekündigt von einem Donnerschlag.
Min stand in der Zimmermitte, hielt mit beiden Händen eine von Loials Pranken und strahlte ihn an. Sie brauchte beide, um eine von seinen riesigen Händen umfassen zu können, und sie schafften es nicht einmal annähernd. Sein Scheitel verfehlte die Stuckdecke um kaum mehr als einen Fuß. Er hatte einen sauberen Mantel aus dunkelblauer Wolle angezogen, der untere Teil bauschte sich über die voluminösen Hosen bis zu den Schäften seiner kniehohen Stiefel, aber ausnahmsweise beulten sich seine Taschen nicht mit den rechteckigen Umrissen von Büchern aus. Augen in der Größe von Teetassen leuchteten beim Anblick Rands auf, und das Grinsen seines breiten Mundes spaltete sein Gesicht buchstäblich in zwei Hälften. Die Pinselohren, die sich durch sein zotteliges Haar schoben, zitterten vor Freude.
»Lord Algarin hat Ogier-Gästezimmer, Rand«, verkündete er mit einer Stimme, die wie eine tiefe Trommel klang. »Kannst du dir das vorstellen? Sechs Stück! Natürlich sind sie schon seit einiger Zeit nicht mehr benutzt worden, aber sie werden jede Woche gelüftet, also gibt es da keine abgestandene Luft, und die Bettlaken sind aus feinstem Leinen. Ich dachte schon, ich müsste mich wieder in einem menschengroßen Bett zusammenkrümmen. Ah, wir werden nicht lange hierbleiben, oder?« Seine langen Ohren sackten ein Stück nach unten und begannen unbehaglich zu zucken. »Ich glaube nicht, dass wir es tun sollten. Ich meine, ich könnte mich an ein richtiges Bett gewöhnen, und das wäre nicht gut, wenn ich bei dir bleibe. Ich meine … Nun, du weißt, was ich meine.«
»Ich weiß«, sagte Rand leise. Er hätte über die Verwirrung lachen können. Er hätte lachen sollen. In letzter Zeit schien es ihm unmöglich zu sein, zu lachen. Er spannte ein Netz gegen Lauscher um den Raum und verknotete es, sodass er Saidin loslassen konnte. Die letzten Reste der Übelkeit verschwanden sofort. Für gewöhnlich konnte er sie mit einer Anstrengung kontrollieren, aber warum sollte er es tun, wenn es nicht notwendig war? »Sind deine Bücher nass geworden?« Loials Hauptsorge bei seiner Ankunft war es gewesen, seine Bücher zu überprüfen.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er das, was er eben getan hatte, in seinen Gedanken als das Spinnen eines Netzes betrachtet hatte. So würde Lews Therin es nennen. So etwas geschah viel zu oft, die Redewendungen des anderen Mannes schlichen sich in seinen Kopf, die Erinnerungen des anderen vermengten sich mit den seinen. Er war Rand al’Thor, nicht Lews Therin Telamon. Er hatte einen Schutzschild gewebt und das Gewebe abgebunden und kein Netz gesponnen und es verknotet. Aber das eine fiel ihm so unbewusst ein wie das andere.
»Meine Essays von Willim von Maneches sind feucht geworden«, sagte Loial angewidert und rieb sich mit einem Finger von der Größe einer Wurst über die Oberlippe. Hatte er sich nachlässig rasiert, oder war das da unter der großen Nase der Anfang eines Schnurrbarts? »Die Seiten könnten fleckig werden. Ich hätte nicht so nachlässig sein dürfen, nicht mit einem Buch. Und mein Notizbuch hat auch Feuchtigkeit abbekommen. Aber die Tinte ist nicht verlaufen. Alles ist noch lesbar, aber ich muss mir wirklich einen Kasten machen, um sie zu schützen …« Langsam stahl sich ein besorgter Ausdruck auf sein Gesicht, was die langen Enden seiner Augenbrauen auf seine Wangen baumeln ließ. »Du siehst müde aus, Rand. Er sieht müde aus, Min.«
»Er hat zu viel gearbeitet, aber jetzt ruht er sich aus«, sagte Min entschuldigend, und Rand musste lächeln. Ein wenig. Min würde ihn immer verteidigen, selbst seinen Freunden gegenüber. »Du ruhst dich aus, Schafhirte«, fügte sie hinzu, ließ Loials riesige Hand los und stemmte die Fäuste in die
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