Die Schwarzen Roben
Eins
Tragödie
Die Morgensonne schien.
Tautropfen brachten das Gras am Ufer zum Funkeln, und der Wind trug die Rufe der nistenden Shatra-Vögel heran. Lady Mara von den Acoma genoß die kühle Luft, die schon bald der mittäglichen Hitze weichen würde. Sie saß in ihrer Sänfte; neben ihr saß ihr Ehemann, und auf ihrem Schoß schlummerte ihr jüngerer Sohn, der zwei Jahre alte Justin. Sie schloß die Augen und seufzte voller Zufriedenheit.
Ihre Finger glitten in die Hand ihres Mannes. Hokanu lächelte. Er sah ohne jeden Zweifel sehr gut aus und war ein fähiger Krieger; auch die leichteren Zeiten hatten seine athletische Erscheinung nicht verweichlicht. Seine Hand schloß sich besitzergreifend um ihre, doch Sanftheit milderte die Kraft.
Die vergangenen drei Jahre waren gute Jahre gewesen. Zum ersten Mal seit ihrer Kindheit fühlte sie sich sicher, geschützt vor den tödlichen, niemals endenden politischen Intrigen des Spiels des Rates. Der Feind, der ihren Vater und ihren Bruder getötet hatte, konnte sie nicht länger bedrohen. Er war nur noch Staub und Erinnerung, genau wie seine Familie, die mit ihm gefallen war; das Land und das herrlich gelegene Herrenhaus seiner Ahnen hatte Mara vom Kaiser erhalten.
Einem alten Aberglauben nach überfiel Unglück das Land einer gefallenen Familie; an einem wunderbaren Morgen wie diesem war jedoch von Unheil weit und breit nichts zu spüren. Als sich die Sänfte langsam am Ufer entlang bewegte, genoß das Paar den friedlichen Augenblick und betrachtete das Heim, das es zusammen aufgebaut hatte.
Das Tal, das einst den Lords der Minwanabi gehört hatte, lag zwischen steilen, steinigen Hügeln und war dank dieser natürlichen Gegebenheiten nicht nur leicht zu verteidigen, sondern auch so schön, als hätten es die Götter selbst berührt. Der friedlich-stille Himmel spiegelte sich im See, dessen Oberfläche sich kräuselte, als die schnellen Ruderer eines Botenskiffs Berichte für die Makler in die Heilige Stadt brachten. Dort würden von singenden Sklaven vorwärtsgestakte Kornbarken die Ernte dieses Jahres zur Aufbewahrung in ein Lager bringen, bis der Fluß im Frühjahr wieder mehr Wasser führen und damit den Weitertransport flußabwärts gestatten würde.
In der trockenen Herbstbrise wogte das goldene Gras hin und her, und die Morgensonne ließ die Wände des Herrenhauses wie Alabaster erstrahlen. Lujan und Xandia, die beiden Kommandeure, hielten eine Übung mit einer gemischten Truppe aus Kriegern der Shinzawai und der Acoma ab. Da Hokanu eines Tages den Titel seines Vaters erben würde, hatte seine Heirat mit Mara ihre beiden Häuser nicht miteinander verschmelzen lassen. Krieger im Grün der Acoma marschierten Seite an Seite neben solchen im Blau der Shinzawai, die Reihen hier und da unterbrochen von schwarzen Flecken, Divisionen der insektenähnlichen Cho-ja. Zusammen mit den Ländereien der Minwanabi hatte Lady Mara eine Allianz mit zwei weiteren Schwärmen erhalten, und damit auch die Kampfstärke von drei Kompanien von Kriegern, die von ihren Königinnen nur für den Kampf ausgebrütet worden waren.
Ein Feind, der dumm genug wäre, einen Angriff zu riskieren, würde rasch vernichtet werden. Die Truppen ihrer loyalen Vasallen und Verbündeten hinzugerechnet, geboten Mara und Hokanu über eine Armee, die im Kaiserreich unübertroffen war. Nur die Truppen des Kaisers – die Kaiserlichen Weißen –, verstärkt um die Kontingente anderer Häuser unter seiner Oberherrschaft, konnten ihnen diesen Rang streitig machen. Doch als würden gut ausgebildete Truppen und eine nahezu uneinnehmbare Festung nicht schon allein den Frieden garantieren, hatte Mara für ihre Dienste gegenüber Tsuranuanni den Titel Gute Dienerin des Kaiserreiches erhalten, der mit einer ehrenhalber ausgesprochenen Adoption in die Familie des Kaisers verbunden war. Die Kaiserlichen Weißen würden zu ihrer Verteidigung aufmarschieren, denn nach dem Ehrenkodex der Tsurani war eine Beleidigung oder Bedrohung der Guten Dienerin gleichbedeutend mit einem Angriff auf die Familie des Lichts des Himmels selbst.
»Du siehst heute morgen erfreulich selbstzufrieden aus, meine Liebe«, meinte Hokanu dicht an ihrem Ohr.
Mara beugte den Kopf an seiner Schulter etwas nach hinten und öffnete die Lippen zum Kuß. Wenn sie auch tief in ihrem Innern die wilde Leidenschaft vermißte, die sie mit dem rothaarigen Barbaren, Justins Vater, erlebt hatte, so hatte sie sich mit diesem Verlust abgefunden. Hokanu
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