Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
Er teilte seinen Blick größtenteils zwischen ihr und Sashalle auf, aber er achtete auch auf Küchenbedienstete, die möglicherweise in ihre Nähe kamen. Auch er wollte nicht belauscht werden. »Bevor ich etwas tue, will ich ein paar Antworten haben. Was ist mit meinen … Freunden geschehen? Und ihm? Ist er dem Wahnsinn verfallen?«
Loial seufzte schwer und machte mit einer riesigen Hand eine beschwichtigende Geste. »Ganz ruhig, Karldin«, murmelte er. »Rand würde nicht wollen, dass du dich mit den Aes Sedai streitest. Beherrsche dich.« Karldins Miene verfinsterte sich nur noch mehr.
Plötzlich wurde Samitsu bewusst, dass sie das hätte besser regeln können. Das waren nicht die Augen eines in die Enge getriebenen Fuchses, sondern die eines Wolfes. Sie hatte sich zu sehr an Damer und Jahar und Eben gewöhnt, die dem sicheren Bund unterworfen und gezähmt worden waren. Das mochte zwar eine etwas übertriebene Beschreibung sein, auch wenn sich Merise bei Jahar sehr bemühte – das war eben Merises Art –, dennoch hatte es den Anschein, als könnte der gestrige Schrecken zur heutigen Annehmlichkeit werden; man musste ihm nur lange genug ausgesetzt sein. Karldin Manfor war ebenfalls ein Asha’man, und er war weder gebunden noch gezähmt. Umarmte er die männliche Hälfte der Macht? Beinahe hätte sie gelacht. Flogen Vögel?
Sashalle musterte den jungen Mann mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln, die Hände an ihrem Rock waren viel zu reglos, aber Samitsu war froh, sie nicht in das Licht Saidars eingehüllt zu sehen. Asha’man konnten es fühlen, wenn eine Frau die Macht hielt, und das hätte ihn … übereilt handeln lassen können. Bestimmt konnten sie und Samitsu ihn überwältigen – konnten sie das, wenn er bereits die Macht hielt? Natürlich! Ganz bestimmt! –, aber es wäre viel besser gewesen, wenn sie es nicht tun mussten.
Sashalle schien nicht gewillt zu sein, die Führung zu übernehmen, also legte Samitsu ihm sanft die Hand auf den linken Arm. Er fühlte sich unter dem Mantelärmel wie Stahl an. Also war ihm genauso unbehaglich zumute wie ihr. So unbehaglich wie ihr? Beim Licht, Damer und die anderen hatten wirklich alle ihre Instinkte verdorben!
»Als ich ihn das letzte Mal sah, erschien er wie die meisten Männer«, sagte sie leise und kaum betont. Vom Küchenpersonal war keiner in der Nähe, aber ein paar hatten angefangen, verstohlene Blicke zu dem Tisch zu werfen. Loial atmete erleichtert aus, es klang wie ein Windstoß, der aus einer Höhlenöffnung rauschte, aber sie hielt ihre Aufmerksamkeit auf Karldin gerichtet. »Ich weiß nicht, wo er ist, aber vor ein paar Tagen war er noch am Leben.« Alanna war so verschlossen wie eine Auster und mit Cadsuanes Brief in der Faust schier unerträglich gewesen; darüber hinaus hatte sie so gut wie nichts verraten. »Ich fürchte, Fedwin Morr ist an Gift gestorben, aber ich habe nicht die geringste Idee, wer es ihm verabreicht hat.« Zu ihrer Überraschung schüttelte Karldin mit einer wehmütigen Grimasse den Kopf und murmelte etwas Unverständliches über Wein. »Was die anderen betrifft, sie sind aus freien Stücken Behüter geworden.« Jedenfalls sosehr ein Mann jemals etwas aus freien Stücken tat. Roshan hatte jedenfalls bestimmt kein Behüter werden wollen, bis sie entschieden hatte, dass sie ihn haben wollte. Selbst eine Frau, die keine Aes Sedai war, konnte einen Mann dazu bringen, die Entscheidung zu treffen, die sie haben wollte. »Sie hielten es für die bessere Wahl und sicherer, als dorthin zurückzukehren, wo … die anderen wie Ihr seid. Ihr müsst wissen, dass der Schaden hier im Palast mit Saidin angerichtet wurde. Ihr begreift, wer dahinterstecken muss? Es war ein Versuch, den zu töten, um dessen geistige Gesundheit Ihr fürchtet.«
Auch das schien ihn nicht zu überraschen. Was für Männer waren diese Asha’man bloß? War ihre sogenannte Schwarze Burg eine Mördergrube? Aber seine Muskeln entspannten sich, und plötzlich war er nur ein von der Reise erschöpfter junger Mann, der eine Rasur brauchte. »Beim Licht!«, sagte er leise. »Was tun wir jetzt, Loial? Wo sollen wir hingehen?«
»Ich … weiß es nicht«, erwiderte Loial, der zuerst müde die Schultern und dann die langen Ohren hängen ließ. »Ich … Wir müssen ihn finden, Karldin. Irgendwie. Wir können jetzt nicht aufgeben. Wir müssen ihn wissen lassen, dass wir das getan haben, worum er uns gebeten hat. Soweit es in unserer Macht stand.«
Und worum hatte
Weitere Kostenlose Bücher