Klagelied auf einen Dichter
I.
Die folgende Erzählung wird deutlich genug vor Augen
führen, daß Mr. Wedderburn, der Edinburgher Rechtsgelehrte, bei all seiner
Freundlichkeit ein listiger Mann ist – und ja auch aller Arglist, die Eva einst
von der Schlange erfuhr, bedarf, wo er sich mit der Juristerei sein Brot
verdienen muß. Raffiniert ist er. Und gleich zum ersten Beweis greift hier Ewan
Bell zur Feder, Schuhmacher aus Kinkeig, und setzt sich daran, ein Buch zu
schustern – und nur weil Mr. Wedderburn eine gewisse Art hat, mit den Menschen
umzugehen. Es trug sich folgendermaßen zu.
Wir saßen in seinem Zimmer im Arms, jeder mit einem Glas Grog gegen
die Kälte; und ich hatte ja in den Tagen zuvor wahrlich mehr als nur den Schnee
und den schneidenden Dezemberwind aushalten müssen, und es hatte Zeiten
gegeben, da hatte ich schon alle Hoffnung verloren, daß ich je wieder ein Glas
Grog und ein tüchtiges Feuer erblicken würde. Wir saßen beisammen und beredeten
die seltsamen Ereignisse in aller Ausführlichkeit – Ereignisse, wie sie sich,
dessen bin ich gewiß, nie zuvor hier bei uns zugetragen haben –, und nach einer
Weile blickte Mr. Wedderburn von seinem Glas auf und sagte: »Mr. Bell, man
könnte glauben, es sei ein Roman gewesen«.
»Da haben Sie recht, Mr. Wedderburn«, erwiderte ich, »das ist die
Wahrheit; denn es ist nichts als Teufelszeug gewesen, vom ersten bis zum
letzten Augenblick.«
Er lächelte dabei auf seine listige Art: eine Art, bei der man immer
das Gefühl hat, er finde einen Scherz dort, wo andere nichts bemerken.
Dann blickte er mich jedoch mit ernster Miene an und sprach: »Sie selbst, Mr. Bell, könnten eine wunderbare Geschichte darüber schreiben. Wollen Sie es nicht
versuchen?«
Mir verschlug es die Sprache bei einem solchen Ansinnen: Was waren
das für Zeiten, dachte ich, wo ein Anwalt mit freundlichen Worten so etwas von
einem Presbyter der Gemeinde von Kinkeig fordern konnte? Alle Schriftstellerei
ist eine Verlockung des Bösen, es sei denn, man mehrt damit den Ruhm des Herrn
in kunstvollen Gebeten. Und da kommt Mr. Wedderburn daher und tut, als sei ich
der geborene Geschichtenerzähler, drängt mich regelrecht, ich solle die ganze
Angelegenheit aufschreiben – und nicht etwa zu einem guten Zwecke, sondern weil
sie doch das Zeug zu einem Roman habe! Mr. Wedderburn, so trocken er sein kann,
wenn es sein mußte, hat ja immer seine Schrullen, doch dieser Vorschlag war
gewiß der abstruseste, den er je gemacht hatte. Ich antwortete ihm, daß ich für
solche Arbeit nicht geschaffen sei; ich sei nichts weiter als ein Schuster und
über meinen Leisten alt geworden.
»Aber Mr. Bell«, erwiderte er, »jedermann weiß, daß nach dem Pfarrer
und dem Schulmeister der Sutor der dritte gelehrte
Mann in der Gemeinde ist.«
»Und oft gilt er als gottlos«, fügte ich streng hinzu, »doch von dieser
Regel mag es Ausnahmen geben.« Allerdings muß ich zugeben, daß es mir schmeichelte,
was er da sagte. Teils gewiß, weil ich die alten lateinischen Worte gern habe; noch
lange nachdem Will Saunders sein Ladenschild von Fleischhauer in Familienmetzgerei geändert hatte (und kann man sich
einen dümmeren Ausdruck vorstellen?), hatte auf meinem gestanden, daß ich der Sutor von Kinkeig war. Teils aber auch, weil ich die Wendung
für unsere Gemeinde so zutreffend fand, wenn nicht sogar mehr. Denn zwar haben wir
in unserem Dr. Jervie, dem Pfarrer, einen wahrhaft gelehrten Mann, doch einen Schulmeister
haben wir überhaupt keinen mehr – die Zeiten sind vorüber: an ihrer Stelle kommen
jetzt alte Jungfern; in der Schule von Kinkeig kann man die Lehrerin durch das Getobe
der Kinder kreischen hören, und wer will das schon jeden Morgen in den Ohren
haben? Und auch wenn Miss Strachan – so heißt das Fräulein – ihren Titel von der
Universität in Edinburgh hat, kann sie es doch an Gelehrsamkeit nicht mit dem alten
Schulmeister aufnehmen; ich entsinne mich, wie ich einmal ein Schwätzchen mit ihr
gehalten habe und wie sie tatsächlich glaubte, Plutarch habe seine Bücher auf lateinisch
geschrieben: ich mußte mich beeilen, auf ein anderes Thema zu kommen. Und selbstgefällig
noch dazu: in Edinburgh hat sie ein paar Zeilen zu Papier gebracht – ihre wissenschaftliche
Hausarbeit nennt sie das –, betitelt Das Kino als
Hilfsmittel der visuellen Erziehung , und ist stolz darauf, als hätte sie
Bains Logik oder die Rhetorik des Dr. Hugh Blair geschrieben. Ich weiß noch, wie Rob Yule
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