Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
die Krone, wenn sich der König entspannen wollte. Während der letzten hundert Jahre kam diese Praxis langsam zum Erliegen, bis der Ort vor etwa fünfzig Jahren an einen entfernten Cousin des Königs übergeben wurde. Seitdem wird er von dieser Familie benutzt. Bei der Bevölkerung ist Natrins Hügel größtenteils in Vergessenheit geraten.«
»Nur bei Alsalam nicht?«, fragte Min.
Rand schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bezweifle, dass er überhaupt davon wusste. Die ganze Geschichte hat mir der königliche Archivar erzählt, und der musste stundenlang suchen, um den Namen der Familie herauszufinden, die an dem Ort lebt. Schon seit Monaten gibt es keinen Kontakt mehr zu den Familienmitgliedern, allerdings besuchen sie gelegentlich die Städte. Die wenigen Bauern in der Gegend erzählen, dass anscheinend jemand Neues in dem Palast lebt, auch wenn keiner weiß, was aus den vorherigen Besitzern geworden ist. Es scheint sie zu überraschen, dass sie zuvor nie darüber nachgedacht haben, wie seltsam das eigentlich doch ist.«
Er nickte. »Das ist genau die Art von Ort, den sich Graendal als Ausgangsbasis aussuchen würde. Es ist ein Schmuckstück – eine vergessene Festung voller Schönheit und Macht, uralt und majestätisch. Nahe genug bei Bandar Eban, damit sie sich darin einmischen kann, Arad Doman zu beherrschen, aber abgelegen genug, um es gut verteidigen zu können. Ich habe in meiner Suche nach ihr einen Fehler gemacht – ich bin davon ausgegangen, dass sie ein wunderschönes Herrenhaus mit einem großen Garten wählt. Ich hätte es erkennen müssen; sie will sich nicht nur mit Schönheit umgeben, sondern auch mit Prestige. Eine prächtige Festung für Könige passt genauso gut zu ihr wie ein elegantes Herrenhaus. Vor allem, da diese hier mittlerweile mehr Palast als eine Trutzburg ist.«
Schritte, die sich der Tür näherten, erregten Mins Aufmerksamkeit, und ein paar Sekunden später führte ein Diener Nynaeve und den geckenhaften Ramshalan mit seinem Spitzbart und schmalen Schnurrbart ins Zimmer. Heute trug er winzige Glöckchen an den Bartspitzen und einen schwarzen Schönheitsflecken aus Samt auf der Wange, der ebenfalls die Form eines Glöckchens hatte. Das locker sitzende Gewand aus grüner und blauer Seide wies weite Ärmel auf und gab den Blick auf das darunter befindliche weiße Rüschenhemd frei. Min interessierte sich nicht dafür, was die Mode diktierte; der Mann sah einfach lächerlich aus. Wie ein zerzauster Pfau.
»Mein Lord hat nach mir gerufen?«, sagte Ramshalan und verneigte sich extravagant vor Rand.
Rand wandte sich nicht von der Karte ab. »Ramshalan, ich habe ein Rätsel für Euch«, sagte er. »Ich will wissen, was Ihr davon haltet.«
»Bitte, mein Lord, zögert nicht!«
»Dann verratet mir eines: wie kann ich einen Gegner überrumpeln, von dem ich weiß, dass er klüger als ich ist?«
»Mein Lord.« Ramshalan verneigte sich ein zweites Mal, als sorgte er sich, dass es Rand beim ersten Mal nicht bemerkt hatte. »Sicherlich wollt Ihr mich foppen! Es gibt niemanden, der intelligenter ist als Ihr!«
»Ich wünschte, das wäre so«, sagte Rand leise. »Ich stehe einigen der geschicktesten Kontrahenten gegenüber, die je gelebt haben. Meine derzeitige Gegnerin kennt sich auf eine Weise mit dem Verstand anderer Menschen aus, mit der ich nicht einmal ansatzweise mithalten kann. Wie soll ich sie also besiegen? Sie wird in dem Augenblick verschwinden, indem ich sie bedrohe, wird sich zu einem der Dutzend anderen Zufluchtsorte begeben, die sie mit Sicherheit erschaffen hat. Sie wird sich mir nicht stellen und kämpfen, aber sollte ich ihre Festung mit einem Überraschungsangriff vernichten, gehe ich das Risiko ein, dass sie vorher verschwinden kann, und ich werde nie erfahren, ob ich sie erledigt habe.«
»In der Tat ein Problem, mein Lord«, sagte Ramshalan. Er erschien verwirrt.
Rand nickte wie in Gedanken versunken. »Ich muss ihr in die Augen sehen, muss ihr in die Seele sehen und wissen, dass sie es ist, der ich gegenüberstehe, und nicht irgendeine Täuschung. Das muss mir gelingen, ohne dass ich sie vertreibe. Aber wie? Wie kann ich einen Feind töten, der so viel klüger ist, als ich es bin, einen Feind, den man unmöglich überraschen kann, der mir aber auch nicht entgegentreten will?«
Ramshalan erschien überfordert. »Ich … mein Lord, wenn Euer Gegner so schlau ist, wäre es dann vielleicht nicht angebracht, Ihr bittet jemanden um Hilfe, der noch schlauer ist?«
Rand
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