Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
ignorierte sie. Nach der langen Haft fühlte es sich einfach wunderbar an, wieder gehen zu können. Es war keine Freiheit, nicht mit zwei Wärterinnen, aber so fühlte es sich an! Beim Licht! Sie war sich nicht sicher, wie viele Tage sie noch in dem feuchten Loch von Zelle ertragen hätte!
Aber sie hatte gewonnen. Das dämmerte ihr so langsam. Sie hatte gewonnen! Sie hatte der schlimmsten Strafe widerstanden, die sich Elaida hatte einfallen lassen, und sie hatte den Sieg davongetragen! Der Saal würde die Amyrlin bestrafen, und Egwene würde frei sein.
Jeder bekannte Korridor schien in einem huldigenden Licht zu erstrahlen, und jeder Schritt schien wie der Siegesmarsch von tausend Männern auf einem Schlachtfeld zu sein. Sie hatte gewonnen! Der Krieg war noch nicht vorbei, aber diese Schlacht ging an Egwene. Sie stiegen ein paar Treppen hinauf, dann betraten sie die bevölkerten Teile der Burg. Bald kamen Gruppen von Novizinnen in Sicht; Egwenes Anblick ließ sie tuscheln, dann eilten sie weiter.
Innerhalb weniger Minuten begegnete die kleine Prozession aus Egwene und ihren beiden Aufpasserinnen immer mehr Menschen in den Korridoren. Schwestern aller Ajahs, die beschäftigt aussahen – und doch verlangsamten sich ihre Schritte, als sie Egwene erblickten. Aufgenommene reagierten weniger verstohlen; sie standen an den Kreuzungen und starrten Egwene einfach nur an. In allen Augen stand Überraschung zu lesen. Warum hatte man Egwene freigelassen? Alle erschienen angespannt. War etwas geschehen, von dem sie nichts wussten?
»Ah, Egwene«, sagte eine Stimme, als sie einen anderen Korridor passierten. »Ausgezeichnet, Ihr seid bereits frei. Ich möchte mit Euch sprechen.«
Egwene wandte den Kopf und entdeckte überrascht Saerin, die zielstrebige Sitzende der Braunen. Die Narbe auf ihrer Wange ließ die Frau stets Furcht einflößender als andere Aes Sedai erscheinen, ein Eindruck, der noch von ihren weißen Locken unterstrichen wurde, die von hohem Alter kündeten. Nur wenige Angehörige der Braunen konnte man als einschüchternd beschreiben, aber Saerin gehörte zweifellos zu dieser kleinen Gruppe.
»Wir bringen sie auf ihr Zimmer«, sagte Barasine.
»Nun, dann spreche ich eben auf dem Weg mit ihr«, erwiderte Saerin ruhig.
»Sie darf nicht …«
»Ihr verweigert mir das, Rote? Einer Sitzenden?«
Barasine errötete. »Die Amyrlin wird nicht erfreut sein, das zu hören.«
»Dann lauft und berichtet es ihr«, sagte Saerin. »Während ich mit der jungen al’Vere ein paar wichtige Dinge bespreche.« Sie musterte die Roten. »Gebt uns etwas Privatsphäre, wenn ich bitten darf.«
Es misslang den beiden Roten Schwestern, sie niederzustarren, und sie wichen zurück. Egwene verfolgte alles neugierig. Es hatte den Anschein, als wäre die Autorität der Amyrlin etwas gesunken – tatsächlich sogar die ihrer ganzen Ajah. Saerin wandte sich Egwene zu und hob die Hand, und sie setzten sich gemeinsam in Bewegung, gefolgt von den Roten Schwestern.
»Ihr geht ein Risiko ein, wenn man Euch dabei sieht, wie Ihr auf diese Weise mit mir sprecht«, sagte Egwene.
Saerin schnaubte. »Heutzutage ist es immer ein Risiko, sein Quartier zu verlassen. Die Geschehnisse bereiten mir zu viel Kummer, um mich noch auf Höflichkeiten achten zu lassen.« Sie hielt kurz inne. »Davon abgesehen, mit Euch gesehen zu werden, kann heutzutage das Risiko wert sein. Ich wollte etwas herausfinden.«
»Was denn?«, fragte Egwene neugierig.
»Nun, ich wollte tatsächlich wissen, ob man sie herumschubsen kann. Die meisten Angehörigen der Roten sind über Eure Entlassung nicht erfreut. Sie betrachten sie als große Niederlage für Elaida.«
»Sie hätte mich töten sollen«, sagte Egwene und nickte. »Schon vor Tagen.«
»Das hätte man als Niederlage betrachtet.«
»Eine genauso große Niederlage, wie gezwungen zu werden, Silviana zu entfernen? Plötzlich zu entscheiden, dass ihre Herrin der Novizinnen an allem schuld ist, eine Woche nach dem Vorfall?«
»Hat man Euch das erzählt?« Saerin lächelte. »Dass Elaida ›plötzlich‹ ganz allein diese Entscheidung traf?«
Egwene hob eine Braue.
»Silviana verlangte, vor dem Saal gehört zu werden«, erklärte Saerin. »Sie trat vor uns, vor Elaida selbst, und beharrte darauf, Eure Behandlung würde gegen das Gesetz verstoßen. Was vermutlich auch stimmt. Selbst wenn Ihr keine Aes Sedai seid, hätte man Euch nicht unter so schrecklichen Bedingungen unterbringen dürfen.« Saerin warf Egwene
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