Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
dieses Essen verließ, musste Elaida das Gefühl haben, dass sie die Kontrolle hatte, dass Egwene richtig eingeschüchtert war. Der beste Weg, das zu erreichen und sich einen gewissen Stolz zu erhalten, würde darin bestehen, überhaupt nichts zu sagen.
Schweigen. Das würde an diesem Abend ihre Waffe sein. Egwene stählte sich und klopfte.
Die erste Überraschung kam, als eine Aes Sedai die Tür öffnete. Hatte Elaida keine Diener für diese Aufgabe? Egwene kannte die Schwester nicht, aber das alterslose Gesicht war offensichtlich. Die Frau gehörte zu den Grauen, wie ihre Stola zeigte, und sie war schlank mit vollen Brüsten. Das hellbraune Haar fiel ihr bis zur Rückenmitte, und da lag ein bedrückter Ausdruck in ihren Augen, als hätte sie in letzter Zeit unter einer großen Belastung gestanden.
Elaida war auch da. Egwene zögerte auf der Schwelle und sah ihre Rivalin das erste Mal seit ihrem Aufbruch aus der Weißen Burg, als sie sich zusammen mit Nynaeve und Elayne auf die Jagd nach den Schwarzen Ajah begeben hatte, ein Wendepunkt, der eine Ewigkeit her zu sein schien. Elaida, eine ausgesprochen ansehnliche Frau, schien ein kleines bisschen von ihrer Strenge verloren zu haben. Sie saß entspannt da und lächelte still, als würde sie an einen Witz denken, den nur sie verstand. Ihr Stuhl war beinahe ein Thron, mit Schnitzereien versehen, vergoldet, rot und weiß lackiert. Ein zweiter Stuhl stand am Tisch, vermutlich für die namenlose Graue Schwester.
Egwene war noch nie zuvor in den Gemächern der Amyrlin gewesen, aber sie konnte sich vorstellen, wie Siuans vermutlich ausgesehen hatten. Schlicht und doch nicht völlig nüchtern. Gerade genug Pracht, um zu verdeutlichen, dass das der Raum einer wichtigen Person war, aber nicht genug, um eine Ablenkung darzustellen. Bei Siuan würde alles einem Zweck gedient haben – vielleicht sogar mehreren Zwecken gleichzeitig. Tische mit Geheimfächern. Wandteppiche, die als Landkarten fungierten. Gekreuzte Schwerter über dem Kamin, die geölt waren, für den Fall, dass die Behüter sie brauchten.
Aber vielleicht war das ja auch nur alles eine nette Spinnerei. Dennoch hatte Elaida nicht nur verschiedene Räume als ihre Gemächer bezogen; ihre Ausstattung war unverkennbar kostbar. Die Einrichtung ihrer Zimmerflucht war noch nicht abgeschlossen – man sprach darüber, dass sie jeden Tag etwas anderes hinzufügte –, aber was zu sehen war, war ausgesprochen üppig. Von Wänden und Decken hing neuer Seidenbrokat, alles in Rot. Der tairenische Teppich auf dem Boden stellte fliegende Vögel dar und war so fein geknüpft, dass man ihn beinahe mit einem Gemälde hätte verwechseln können. Verteilt im Raum standen Möbelstücke in einem Dutzend verschiedener Stile, jedes davon verschwenderisch mit Schnitzereien und Elfenbeinintarsien versehen. Hier eine Reihe Schlingpflanzen, dort ein Muster mit knorrigen Vorsprüngen, da ineinander verschlungene Schlangen.
Viel empörender als die ganze Extravaganz war die Stola auf Elaidas Schultern. Sie hatte sechs verschiedenfarbige Streifen. Nicht sieben, sondern sechs! Auch wenn Egwene keiner Ajah beigetreten war, hätte sie doch Grün gewählt. Aber das verhinderte nicht, dass sie plötzlich eine tiefe Wut verspürte, als sie sah, dass man von der Stola das Blau entfernt hatte. Man löste nicht einfach eine der Ajahs auf, nicht einmal, wenn man der Amyrlin-Sitz war.
Aber Egwene hielt den Mund. Bei dieser Begegnung ging es ums Überleben. Zum Nutzen der Burg konnte sie die Schmerzen des Riemens ertragen. Konnte sie auch Elaidas Arroganz ertragen?
»Keinen Knicks?«, fragte Elaida, als sie den Raum betrat. »Man sagte ja schon, Ihr wärt stur . Nun, dann werdet Ihr am Ende dieser Mahlzeit die Herrin der Novizinnen besuchen und sie über dieses Versäumnis informieren. Was haltet Ihr davon?«
Dass du eine Seuche bist, die dieses Gebäude befallen hat, so widerwärtig und zerstörerisch wie alle Krankheiten, die diese Stadt und ihre Bewohner in der Vergangenheit heimgesucht haben. Dass du …
Egwene senkte den Blick. Und neigte den Kopf, obwohl sie die Scham bis in die Knochen spürte.
Elaida lachte und verstand die Geste genauso, wie sie sie verstehen sollte. »Ehrlich, ich hätte gedacht, dass Ihr mehr Ärger macht. Anscheinend versteht Silviana ihr Handwerk. Das ist gut; ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass sie sich wie viel zu viele in der Burg in letzter Zeit vor ihren Pflichten drückt. Nun, beeilt Euch. Ich werde
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