Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
über den gesunden Menschenverstand. Dennoch hielt sie trotzig seinem Blick stand, auch wenn sie sich mit Mühe davon abhalten musste, nochmals betreten zu schlucken.
Er schürzte die Lippen. »Solche Kleider trägt man, um Männer zu verführen, und sonst aus keinem anderen Grund.« Sie verstand nicht, wie seine Stimme gleichzeitig so inbrünstig und doch eisig klingen konnte. »Gedanken an Fleischeslust lenken den Verstand vom Lord Drachen und dem Licht ab. Ich habe schon daran gedacht, Kleider zu verbieten, die die Blicke und den Verstand von Männern ablenken. Frauen, die ihre Zeit damit verschwenden, Männer zu verführen, und Männer, die Frauen verführen möchten, müssten gezüchtigt werden, bis sie wissen, dass man die wirkliche Freude nur in tiefen Gedanken an den Lord Drachen und das Licht finden kann.« Er blickte sie nicht mehr richtig an. Dieser düstere, brennende Blick ging durch sie hindurch und verlor sich irgendwo in der Ferne. »Tavernen und andere Häuser, wo man starke Getränke verkauft, und überhaupt alle Orte, die den Verstand der Menschen von der wahren Verehrung ablenken, müssen geschlossen und niedergebrannt werden. In meinen Tagen der Sünde habe ich solche Orte besucht, aber das bereue ich nun von ganzem Herzen, so wie alle ihre Übertretungen bereuen sollten. Es gibt nur den Lord Drachen und das Licht! Alles andere ist eine Illusion und ein Köder des Schattens!«
»Das ist Nynaeve al’Meara«, sagte Uno schnell, als Masema Luft holen musste. »Aus Emondsfelde an den Zwei Flüssen, wo auch der Lord Drache herkommt.« Masema wandte langsam den Kopf und blickte den Einäugigen an. Sie nutzte die Gelegenheit, um sich das Schultertuch wieder richtig umzulegen und zu verknoten. »Sie war mit dem Lord Drachen in Fal Dara und in Falme. Der Lord Drache hat sie in Falme gerettet. Der Lord Drache betrachtet sie fast als Mutter.«
Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er daraufhin von ihr einiges zu hören und vielleicht sogar eins aufs Ohr bekommen. Rand hatte sie nicht gerettet, oder jedenfalls nicht direkt, und sie war nur ein paar Jahre älter als er. Als Mutter, ja? Masema wandte sich ihr wieder zu. Das fanatische Glimmen in seinen Augen von vorhin war nichts gegen das, was sie jetzt darin ablas. Sie glühten beinahe.
»Nynaeve. Ja.« Nun sprach er schneller. »Ja! Ich erinnere mich an Euren Namen und Euer Gesicht. Gesegnet seid Ihr unter den Frauen, Nynaeve al’Meara, mehr als jede andere Frau außer der segensreichen Mutter des Lord Drachen selbst, denn Ihr habt den Lord Drachen aufwachsen sehen. Ihr habt Euch um den Lord Drachen gekümmert, als er noch ein Kind war.« Er ergriff ihre Arme, und seine harten Finger verursachten ihr Schmerzen, doch schien er das gar nicht zu bemerken. »Ihr werdet den Volksmengen von der Kindheit des Lord Drachen berichten, von den ersten Weisheiten, die er von sich gab, von den Wundern, die ihn begleiteten. Das Licht hat Euch hergeschickt, um dem Lord Drachen zu dienen.«
Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Es hatte in Rands Umgebung niemals irgendwelche Wunder gegeben, jedenfalls nicht solche, die sie wahrgenommen hätte. Sie hatte in Tear einiges gehört, aber das, was ein Ta’veren verursachte, konnte man wohl kaum als Wunder bezeichnen. Nicht wirklich. Selbst das, was in Falme geschehen war, konnte man durchaus rational erklären. So einigermaßen. Und was seine frühen Weisheiten betraf, so war die erste, die sie von ihm vernommen hatte, dass er niemals mehr einen Stein nach jemandem werfen werde. Das hatte er nach einer kräftigen Tracht Prügel versprochen. Sie glaubte, sich seither an keine anderen Weisheiten mehr aus seinem Munde erinnern zu können. Und außerdem: Hätte auch Rand von der Wiege an mit Weisheiten um sich geworfen, hätten sich bei Nacht Kometen und bei Tag andere Erscheinungen am Himmel gezeigt, sie wäre trotzdem nicht in der Nähe dieses Wahnsinnigen hier geblieben.
»Ich muss flussabwärts reisen«, sagte sie zurückhaltend. »Um mich ihm anzuschließen. Dem Lord Drachen.« Den Namen brachte sie kaum über die Lippen, nachdem sie sich geschworen hatte, ihn nicht zu verwenden, aber bei dem Propheten konnte man Rand niemals einfach mit ›er‹ bezeichnen. Ich bemühe mich halt nur, vernünftig zu sein. Das ist alles. ›Ein Mann ist eine Eiche, die Frau eine Weide‹, sagte man. Die Eiche kämpfte gegen den Wind an und wurde gebrochen, während sich die Weide beugte, wenn es notwendig war, und überlebte. Das
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