Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
passte überhaupt nicht zu dem schmutzigen Hemd und der abgetragenen wollenen Hose. Der eine der rissigen Stiefel hatte ein großes Loch in der Sohle, und aus dem anderen lugte ein Zeh heraus. Er hob eine Hand und flüsterte: »Das Licht leuchte Euch und segne den Namen des Wiedergeborenen Drachen?« Bei ihm klang es wie eine Frage, und so verzog er auch sein schmales, ebenfalls schmutziges Gesicht fragend; aber schnell merkte sie, dass bei ihm wohl alles so wirkte. »Der Prophet kann jetzt nicht gestört werden? Er ist beschäftigt? Ihr müsst ein wenig warten?« Uno nickte geduldig, und Ragan lehnte sich an die Wand. Sie hatten das schon öfter mitgemacht.
Nynaeve wusste selbst nicht, was sie vom Propheten erwartet hatte, noch nicht einmal jetzt, da sie wusste, wer er war – aber Schmutz hatte sie nicht erwartet. Diese Suppe hatte einen Geruch nach Kohl und Kartoffeln verbreitet – auch kaum die Art von Speisen, die man bei einem Mann vermutete, nach dessen Pfeife die ganze Stadt tanzte. Und dann nur zwei Dienstboten, und beide kamen möglicherweise aus den schlimmsten Behausungen außerhalb der Stadt.
Der knochige Wächter, falls er überhaupt einer war – denn er war unbewaffnet und genoss vielleicht genauso wenig Vertrauen wie sie –, schien nichts dagegen zu haben, wenn sie sich so stellte, dass sie durch die geöffnete Tür blicken konnte. Der Mann und die Frau dort drinnen hätten nicht unterschiedlicher sein können. Masema hatte sogar die Skalplocke abrasiert, trug einen Mantel aus einfacher brauner Wolle, ziemlich zerknittert, aber sauber, und nur die kniehohen Stiefel waren abgestoßen. Die tiefliegenden Augen verwandelten seinen normalerweise schon säuerlichen Gesichtsausdruck in eine wahrhaft finstere Miene, und auf einer dunklen Wange war das blasse Dreieck einer Narbe zu sehen, beinahe ein Spiegelbild von Ragans Narbe, nur vom Alter stärker verblasst und ein klein wenig näher am Auge. Die Frau trug elegante, goldgesäumte blaue Seide, war beinahe schon von mittleren Jahren und sehr hübsch, obwohl ihre Nase vielleicht eine Idee zu lang war, als dass man sie hätte schön nennen können. Ein einfaches blaues Netz hielt dunkles Haar zusammen, das ihr fast bis an die Hüften reichte, dazu hatte sie eine breite goldene Halskette angelegt, mit Feuerfunken besetzt, genau zum Armreif passend, und Ringe mit Edelsteinen schmückten nahezu alle Finger. Während Masema auf dem Sprung zu sein schien, mit gefletschten Zähnen auf jemanden loszugehen, zeigte sie würdige Zurückhaltung und Grazie.
»… so viele folgen Euch, wo immer Ihr hingeht«, sagte sie gerade, »dass Gesetz und Ordnung futsch sind, sobald Ihr ankommt. Die Menschen und ihr Eigentum sind nicht sicher …«
»Der Lord Drache hat alle Bindungen an Gesetze gelöst, alle, die von sterblichen Männern und Frauen geschaffen wurden.« Masema klang hitzig, aber auf eindringliche Art und nicht etwa zornig. »Die Prophezeiungen sagen aus, dass der Lord Drache alle Ketten sprengen wird, die uns binden, und so ist es. Die Ausstrahlung des Lord Drachen wird uns vor dem Schatten beschützen.«
»Hier ist nicht der Schatten die Bedrohung, sondern Straßenräuber und Taschendiebe und Schläger. Einige, ja viele derer, die Euch nachfolgen, glauben, sie könnten jedem alles abnehmen, was sie haben wollen, ohne dafür zu bezahlen, und dann einfach gehen.«
»Im Leben nach dem Tod, wenn wir wiedergeboren werden, finden wir Gerechtigkeit. Sich mit den Dingen dieser Welt zu beschäftigen ist nutzlos. Aber gut. Wenn Ihr irdische Gerechtigkeit wünscht« – dabei verzog er verächtlich den Mund –, »dann lasst Folgendes gelten: Wenn künftig ein Mann beim Stehlen erwischt wird, hackt man ihm die rechte Hand ab. Ein Mann, der eine Frau belästigt oder ihre Ehre beschneidet oder einen Mord begeht, wird aufgehängt. Eine Frau, die stiehlt oder mordet, wird ausgepeitscht. Falls sich ein Ankläger findet und er zwölf überzeugt, seiner Anklage zuzustimmen, wird es künftig so gehalten. Das soll von nun an gelten.«
»Wie Ihr wollt; selbstverständlich«, murrte die Frau. Edel und distanziert wirkte ihr Gesicht, aber sie hörte sich erschüttert an. Nynaeve wusste nichts von den in Ghealdan geltenden Gesetzen, aber sie glaubte nicht, dass man darin mit Menschenleben derart leichtfertig umging. Die Frau atmete tief durch. »Dann ist da noch die Angelegenheit mit den Lebensmitteln. Es wird immer schwieriger, so viele Menschen durchzufüttern.«
»Jeder
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