Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
ihrer Kleidung war auf dem Tisch ausgelegt, von Birgittes silbernem Pfeil, der vor der stämmigen Morvrin lag, über die drei Ter’angreale vor Sheriam bis zu den vergoldeten Kästchen, die gleich unter Myrelles dunklen Augen ruhten. Keine einzige dieser Frauen wirkte erfreut. Carlinyas Gesicht schien wie aus Eis gehauen, selbst die mütterliche Anaiya hatte eine ernste Maske aufgesetzt, und in Beonins immer erstaunt wirkendem Blick aus den weit geöffneten Augen lag entschieden ein Hauch von Ärger. Ärger und noch etwas mehr. Manchmal streckte Beonin die Hand nach dem weißen Tuch aus, das sie über das Cuendillar -Siegel gebreitet hatten, doch sie hielt jedes Mal inne und zog die Hand wieder zurück.
Nynaeve riss sich von dem Tuch los. Sie wusste genau, an welchem Punkt alles angefangen hatte, schiefzugehen. Die Behüter, die sie im Wald umstellt hatten, waren höflich, wenn auch kühl gewesen, jedenfalls, nachdem sie Uno und die Shienarer dazu gebracht hatte, ihre Schwerter wegzustecken. Und Mins herzliche Begrüßung unter Lachen und Umarmungen hatte ihnen das Herz erwärmt. Doch die Aes Sedai und andere auf den Straßen waren so in ihre eigenen Aufgaben versunken gewesen, dass sie der von den Behütern hereinbegleiteten Gruppe keine Aufmerksamkeit schenkten. Salidar war ziemlich überfüllt und an beinahe jedem freien Fleck übten Bewaffnete sich im Kampf. Die erste Person außer den Behütern und Min, die ihnen überhaupt etwas Aufmerksamkeit gewidmet hatte, war die hagere Braune Schwester gewesen, zu der man sie führte, hier in dem einstigen Schankraum eines Gasthauses. Sie und Elayne hatten die von ihnen vereinbarte Geschichte also Phaedrine Sedai erzählt, oder zumindest versucht, sie ihr zu erzählen. Nach fünf Minuten ließ die Braune sie einfach stehen, nachdem sie ihnen noch befohlen hatte, sich nicht zu rühren und auf keinen Fall ein Wort zu sprechen, auch nicht zueinander. Zehn weitere Minuten lang blickten sie einander verwirrt an, während um sie herum zwischen den Tischen, an denen Aes Sedai über Papieren brüteten und kurz angebunden Aufträge ausgaben, reger Betrieb von Aufgenommenen und weiß gekleideten Novizinnen, Behütern, Dienern und Soldaten herrschte, und dann hatte man sie so überstürzt vor Sheriam und die anderen gezerrt, dass es Nynaeve vorkam, als hätten ihre Füße kaum mehr als zweimal den Boden berührt. Und danach hatte das Verhör begonnen. So ging man wohl eher mit Sträflingen um als mit heimkehrenden Heldinnen. Nynaeve tupfte ihr Gesicht ab, doch sobald sie das Taschentuch in ihren Ärmel zurückgesteckt hatte, verkrampften sich ihre Hände wieder in den Rock.
Sie und Elayne waren nicht die Einzigen, die auf dem bunten Seidenteppich standen. Siuan, in einem einfachen blauen Wollkleid, hätte sich ihrer Haltung nach freiwillig hier befinden können, hätte Nynaeve es nicht besser gewusst. So kühl und absolut beherrscht stand sie da. Sie schien gedankenverloren und sorglos in die Welt zu blicken. Leane dagegen beobachtete wenigstens die Aes Sedai, erschien aber genauso selbstbewusst. Sie wirkte sogar um einiges selbstbewusster, als Nynaeve sie in Erinnerung hatte. Und auch biegsamer, eleganter sah diese Frau mit der kupferfarbenen Haut aus, auf irgendeine Art lebendiger. Vielleicht lag es an ihrem schamlosen Kleid. Dieses blassgrüne Seidenkleid war genauso hochgeschlossen wie das blaue Siuans, aber nicht nur, dass es sich jeder Kurve ihres Körpers anschmiegte, nein, der Stoff konnte nur noch mit äußerstem Wohlwollen überhaupt als ›durchscheinend‹ bezeichnet werden. Doch es waren ihre Gesichter, die Nynaeve am meisten verblüfften. Sie hatte ja überhaupt nicht erwartet, eine von ihnen lebendig vorzufinden, und ganz gewiss noch weniger, dass sie so jung aussehen würden – nicht mehr als höchstens ein paar Jahre älter als sie selbst. Sie warfen sich gegenseitig noch nicht einmal einen Blick zu. Tatsächlich glaubte sie sogar, eine gewisse Kälte zwischen den beiden wahrzunehmen.
Und es gab noch etwas, das sich an ihnen verändert hatte, obwohl Nynaeve das eben erst wahrzunehmen begann. Wenn auch alle, Min eingeschlossen, dieses Thema so gut wie möglich umgangen hatten, machte doch auch niemand ein echtes Geheimnis daraus, dass die beiden der Dämpfung unterzogen worden waren. Nynaeve spürte etwas von dieser Leere. Vielleicht lag es daran, dass sie sich in einem Raum befand, in dem alle anderen Frauen fähig waren, die Macht zu lenken, oder es lag an
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