Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
erwartet hatte. Auf gewisse Art war sie nicht so hartnäckig wie die Frau, die vor ihr die Stola getragen hatte. Das hatte man ihm jedenfalls erzählt. Härter, ja, und grausamer, aber auch zerbrechlicher. Wahrscheinlich schwieriger, sie seinem Willen gefügig zu machen, aber leichter zu zerbrechen, falls das eine oder das andere notwendig werden sollte. Trotzdem war es ihm im Prinzip gleich, welche Aes Sedai, welche Amyrlin er vor sich hatte. Alles Närrinnen. Gefährliche Närrinnen, sicher, aber auch manchmal nützlich ihrer Leichtgläubigkeit wegen.
Schließlich jedoch bemerkten sie seine Anwesenheit. Die Amyrlin zog die Augenbrauen hoch, weil sie offensichtlich überrascht worden war, während sich die Bewahrerin der Chroniken nichts anmerken ließ. »Ihr dürft jetzt gehen, Tochter«, sagte Elaida entschlossen, wobei sie das ›jetzt‹ leicht, aber doch hörbar betonte. O ja. Die Spannungen zwischen ihnen, die Risse im Machtgefüge. Risse, in die man Samen setzen konnte. Fain ertappte sich dabei, dass er beinahe gekichert hätte.
Alviarin zögerte und knickste dann ganz leicht. Als sie aus dem Zimmer rauschte, streifte ihn ihr Blick, ausdruckslos und doch verwirrend. Unwillkürlich zog er den Kopf ein und schob die Schultern schützend nach vorn. Seine Oberlippe bebte. Fast hätte er ihre schlanke Rückenpartie angeknurrt. Er hatte das Gefühl, wenn auch nur einen Augenblick lang, dass sie zu viel über ihn wisse. Doch er wusste nicht einmal, wieso er das empfand. Ihr kühles Gesicht und ihr kühler Blick veränderten sich nie. Zu solchen Anlässen hätte er sie nur zu gern geändert. Furcht. Schmerz. Betteln. Er hätte bei diesem Gedanken fast gelacht. Sinnlos natürlich. Sie konnte nichts wissen. Geduld, dann würde er bald mit ihr und ihren immer gleich blickenden Augen fertigwerden.
In den Schatzkammern der Burg ruhten viele Dinge, die ein wenig Geduld wert waren. Das Horn von Valere war dort, das sagenhafte Horn, mit dem man tote Helden aus den Gräbern zur Letzten Schlacht zurückrufen konnte. Selbst die meisten Aes Sedai wussten das nicht, aber er war in der Lage, solche Dinge zu wittern. Der Dolch befand sich dort. Er spürte seine Anziehung von dem Fleck aus, auf dem er stand. Er hätte darauf zeigen können. Er gehörte ihm, war ein Teil seiner selbst, das ihm von den Aes Sedai gestohlen und hier beschmutzt und versteckt worden war. Den Dolch zu besitzen würde so vieles wiedergutmachen, was er verloren hatte. Er wusste wohl nicht genau, auf welche Weise, aber er war sich da ganz sicher. Für das verlorene Aridhol. Zu gefährlich, nach Aridhol zurückzukehren und vielleicht wieder dort gefangen zu sein. Er zitterte. So lange war er dort gefangen gewesen. Nicht noch einmal.
Natürlich wurde es jetzt nicht mehr Aridhol genannt, sondern Shadar Logoth. Wo der Schatten Wartet. Ein passender Name. Soviel hatte sich geändert. Selbst er. Padan Fain. Mordeth. Ordeith. Manchmal war er sich nicht sicher, welcher Name wirklich zu ihm gehörte, wer er wirklich war. Eines war aber sicher: Er war nicht das, was die anderen glaubten. Diejenigen, die sich einbildeten, ihn zu kennen, irrten sich gewaltig. Er war jetzt verklärt. Er war nun selbst eine Macht und stand jenseits aller anderen Mächte. Sie würden es noch merken.
Mit einem Mal wurde ihm bewußt, dass die Amyrlin etwas gesagt hatte, und er fuhr zusammen. Er suchte in seinem Gedächtnis und fand die Antwort: »Ja, Mutter, der Mantel steht mir sehr gut.« Er strich mit der Hand über den schwarzen Samt, um zu zeigen, wie schön er den Stoff fand, als spielte Kleidung irgendeine Rolle. »Ist ein sehr guter Mantel. Herzlichen Dank, Mutter.« Er war darauf vorbereitet, noch mehr Komplimente über sich ergehen lassen zu müssen, damit er sich ›entspannte‹, bereit, niederzuknien und ihren Ring zu küssen, doch diesmal kam sie geradewegs zur Sache: »Berichtet mir, was Ihr noch über Rand al’Thor wisst, Meister Fain.«
Fains Blick glitt hinüber zu dem Gemälde mit den beiden Männern, und während er es betrachtete, richtete er sich kerzengerade auf. Al’Thors Portrait wurmte ihn beinahe genauso wie der Mann selbst, ließ ihm Wut und Hass durch die Adern schießen. Wegen dieses jungen Mannes hatte er Schmerzen jenseits aller Vorstellung erdulden müssen, Schmerzen, an die er sich gar nicht erinnern wollte. Und er hatte noch Schlimmeres als Schmerzen ertragen müssen. Al’Thors wegen war er zerbrochen und war wieder ins Leben gerufen worden.
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