Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
lassen. Sie war sicher, die drei Aes Sedai hätten genauso viel dafür gegeben, aber sie fuhren lediglich fort, weitere Dokumente aus dem lackierten Kästchen zu nehmen.
»Die steckbriefliche Suche nach Moiraine ist noch in Kraft«, sagte Beonin und schüttelte den Kopf, als aus dem einzelnen Blatt in ihrer Hand plötzlich ein ganzes dickes Bündel wurde. »Sie weiß noch nicht, dass Moiraine tot ist.« Sie schnitt den Papieren eine Grimasse und ließ sie fallen. Sie wurden verstreut wie abgestorbene Blätter vom Wind, und dann lösten sie sich auf, bevor sie den Boden erreichten. »Elaida hat auch immer noch vor, sich einen Palast bauen zu lassen.«
»Hätte sie gern«, meinte Sheriam trocken. Ihr Hand zuckte vor und nahm etwas auf, was wie eine kurze Notiz aussah. »Shemerin ist geflohen. Die Aufgenommene Shemerin.«
Alle drei blickten kurz Elayne an, bevor sie sich wieder dem Inhalt des Kästchens widmeten, das sie nun erneut öffnen mussten. Keine gab irgendeinen Kommentar zu Sheriams Worten.
Elayne hätte beinahe mit den Zähnen geknirscht. Sie und Nynaeve hatten ihnen berichtet, dass Elaida Shemerin, eine Gelbe Schwester, zur Aufgenommenen degradieren wolle, aber natürlich hatten sie ihr nicht geglaubt. Man konnte eine Aes Sedai sehr wohl bestrafen oder sogar ausstoßen, aber eine Degradierung war unmöglich, sonst hätte man sie gleich einer Dämpfung unterziehen können. Aber es schien, dass Elaida trotzdem genau das tat, gleich, was die Gesetze der Burg vorschrieben. Vielleicht änderte sie die Gesetzgebung jetzt auch noch selbst ab.
Eine ganze Anzahl von Dingen, die sie diesen Frauen berichtet hatten, war ihnen offensichtlich nicht abgenommen worden. Solch junge Frauen, Aufgenommene, konnten doch nicht genug von der Welt wissen, um einzuschätzen, was möglich war und was nicht! Junge Frauen waren leichtgläubig und leicht zu beeinflussen; sie sahen und glaubten manchmal Dinge, die es gar nicht gab. Es kostete Elayne Mühe, nicht mit dem Fuß aufzustampfen. Eine Aufgenommene nahm das an, was die Aes Sedai ihr gaben, und verlangte keine Dinge, die ihr die Aes Sedai nicht geben wollten. Beispielsweise Entschuldigungen. Sie behielt ihre Gefühle für sich und machte eine ausdruckslose Miene.
Siuan beherrschte sich in solchen Fällen weniger. Jedenfalls zumeist. Wenn die Aes Sedai sie nicht ansahen, bedachte sie diese mit ihren finstersten Blicken. Klar, wenn eine der drei dann in ihre Richtung blickte, wandelte sich ihre Miene im Handumdrehen zu demütiger Ergebenheit. Darin hatte sie bereits eine Menge Übung. Ein Löwe überlebt, indem er sich wie ein Löwe verhält, hatte sie Elayne einmal gesagt, und eine Maus, indem sie sich wie eine Maus verhält. Trotzdem war Siuan selbst nur die armselige Imitation einer Maus.
Elayne glaubte, in Siuans Blick etwas wie Besorgnis zu erkennen. Dies war Siuans Aufgabe gewesen, seit sie den Aes Sedai bewies, dass sie problemlos den Ring benutzen konnte – sicher, erst nachdem sie und Leane heimlichen Unterricht durch Nynaeve und Elayne erhalten hatten – und eine hervorragende Informationsquelle darstellte. Es kostete Zeit, den Kontakt mit den über die verschiedenen Länder verstreuten Augen-und-Ohren wiederherzustellen und ihre Berichte von der Weißen Burg nach Salidar umzulenken. Falls Sheriam und die anderen vorhatten, diese Aufgabe selbst zu übernehmen, wäre Siuan nicht mehr so nützlich für sie. In der Geschichte der Burg war noch niemals ein Agentennetz von einer Frau geführt worden, die nicht wenigstens Aes Sedai war, bis Siuan mit ihren Kenntnissen der Augen-und-Ohren der Amyrlin selbst nach Salidar gekommen war, und darüber hinaus kannte sie auch noch die Augen-und-Ohren der Blauen Ajah, denn die hatte sie vor ihrer Wahl zur Amyrlin geleitet. Beonin und Carlinya zögerten ganz unverhohlen, sich da auf eine Frau zu verlassen, die nicht mehr zu ihnen gehörte, und die anderen waren auch nicht gerade begeistert gewesen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Sie alle fühlten sich nicht wohl in Gegenwart einer Frau, die eine Dämpfung hinter sich hatte.
Es gab auch für Elayne im Moment nichts zu tun. Die Aes Sedai mochten dies vielleicht als Lektion bezeichnen und betrachteten es möglicherweise wirklich als solche, aber sie wusste aus Erfahrung, wenn sie ungebeten versuchte, sie weiter zu unterrichten, würde man ihr fast den Kopf dafür abreißen. Sie war dabei, um jede Frage zu beantworten, die die anderen an sie stellen wollten, und sonst gar
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