Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Doch wenn Ihr glaubt, er werde Euch in Caemlyn willkommen heißen und Euch Euren Thron zurückgeben …«
Er ließ die Worte verklingen, doch sein Redestrom hatte Morgase wie ein Hagelschauer getroffen. Dyelin war die Nächste in der Thronfolge, aber nur, wenn Elayne starb und keine Nachfolgerin hinterließ. Oh, Licht, Elayne! Befand sie sich noch sicher in der Burg? Seltsam, dass sie in Gedanken eine solche Antipathie gegen die Aes Sedai entwickelt hatte, vor allem, weil sie eine Weile lang Elayne aus den Augen verloren hatten. So hatte sie Elaynes Rückkehr gefordert, in einer Zeit, wo niemand etwas von der Burg forderte , und nun hoffte sie, dass sie ihre Tochter dort in Sicherheit festhielten. Sie erinnerte sich an einen Brief Elaynes, als sie nach Tar Valon zurückgekehrt war. Hatte sie noch mehr geschrieben? So vieles von dem, was geschehen war, während sie unter dem Einfluss Gaebrils stand, war völlig verschwommen. Sicherlich ging es Elayne gut. Sie sollte sich auch Sorgen um Gawyn machen und um Galad – das Licht mochte wissen, wo sie sich aufhielten –, aber Elayne war ihre Erbin. Der Friede in Andor hing weitgehend von einer reibungslosen Thronfolge ab.
Sie musste sorgfältig nachdenken. Es hing alles miteinander zusammen, aber bei gut durchdachten Lügen wäre das genauso, und dieser Mann war bestimmt ein Meister der Lüge. Sie brauchte Tatsachen. Dass man sie in Andor für tot hielt, war keine Überraschung, denn sie hatte sich ja heimlich aus ihrem eigenen Herrschaftsbereich wegschleichen müssen, um Gaebril zu entgehen und denjenigen, die sie an Gaebril verraten hätten, weil sie oder Gaebril selbst ihnen zu viel Unrechtes angetan hatten. Wenn durch die Falschmeldung über ihren Tod nun Mitleid aufkam, könnte ihr das durchaus von Nutzen sein, sollte sie plötzlich wieder von den Toten auferstehen. Tatsachen. »Ich brauche Zeit zum Nachdenken«, sagte sie zu ihm.
»Selbstverständlich.« Niall erhob sich geschmeidig. Sie hätte sich ebenfalls erhoben, damit er nicht so über sie aufragte, doch sie war nicht sicher, ob ihre Beine sie trügen. »Ich werde in ein oder zwei Tagen wiederkommen. Mittlerweile möchte ich aber Gewissheit haben, dass Ihr Euch in Sicherheit befindet. Ailron ist so sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, dass man nicht sagen kann, wer sich alles einschleichen könnte, vielleicht sogar mit der Absicht, Euch Schaden zuzufügen. Ich habe mir die Freiheit genommen, ein paar der Kinder hier als Wachen aufzustellen. Mit Ailrons Zustimmung natürlich.«
Morgase hatte immer gehört, die Weißmäntel seien die wahren Machthaber Amadicias. Sie war sicher, dass sie den Beweis dafür gerade erhalten hatte.
Niall benahm sich beim Gehen wenigstens etwas förmlicher als beim Kommen und verbeugte sich tief genug, wie man es bei einem Gleichgestellten üblicherweise tat. Wie sie es auch immer betrachtete: Er ließ sie wissen, sie habe gar keine andere Wahl.
Kaum war er draußen, sprang Morgase auf, aber Breane kam ihr noch zuvor und war schneller als sie an der Tür. Doch bevor eine von ihnen dort angekommen war, flog die Tür auch schon auf und Tallanvor und die beiden anderen Männer eilten in den Raum.
»Morgase«, ächzte Tallanvor und verschlang sie beinahe mit den Augen. »Ich fürchtete schon …«
»Ihr fürchtet?«, fragte sie verächtlich. Es war zu viel – er lernte es einfach nicht. »Beschützt Ihr mich so? Das hätte auch noch ein kleiner Junge gekonnt! Nun, es war ja wohl auch ein kleiner Junge, der mich beschützt hat.«
Dieser glühende Blick ruhte noch einen Moment länger auf ihr, und dann wandte er sich ab und schob sich an Basel und Lamgwin vorbei hinaus.
Der Wirt stand da und rang die Hände. »Sie waren mindestens dreißig, meine Königin. Tallanvor hätte gekämpft; er versuchte auch zu schreien, um Euch zu warnen, aber einer hat ihm den Schwertknauf über den Kopf geschlagen. Der Alte sagte, sie wollten Euch nichts antun, aber sie wollten nur von Euch etwas, und falls sie gezwungen wären, uns zu töten …« Sein Blick huschte zu Lini und Breane hinüber, die derweil Lamgwin von Kopf bis Fuß musterte, ob er eine Verletzung aufweise. Der Mann schien genauso besorgt ihretwegen. »Meine Königin, wenn ich geglaubt hätte, dass wir etwas ausrichten könnten … Es tut mir leid. Ich habe versagt.«
»Die rechte Medizin schmeckt immer bitter«, murmelte Lini leise. »Vor allem für ein Kind, das vor lauter Schmollen beinahe einen Wutanfall
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