Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
öffnete den Mund, um zu protestieren, bevor sie sich auf eine Grimasse beschränkte. Sie allein war imstande, den Thron zu bedienen, aber in dieser Gruppe nahm sie den gleichen niedrigen Rang wie Seaine ein.
Talene starrte noch immer zu Saerin hoch. Ihre großen Augen füllten sich mit Tränen und sie fing an, in tiefen, hoffnungslosen Schluchzern zu weinen. Blindlings streckte sie die Hand aus und tastete umher, bis ihr Pevara den Eidstab entgegenhielt. Pevara umarmte die Quelle und lenkte einen Strang Geist in den Stab. Talene umfasste den Zylinder, der die Dicke eines Handgelenks aufwies, so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, blieb aber schluchzend liegen.
Saerin richtete sich auf. »Doesine, ich fürchte, es ist Zeit, sie wieder schlafen zu legen.«
Talenes Tränen flossen noch schneller, aber sie fing an zu murmeln. »Ich … entsage allen Eiden … die mich binden.« Mit dem letzten Wort fing sie an zu schreien.
Seaine zuckte zusammen, dann schluckte sie schwer. Sie hatte den Schmerz, nur einem einzigen Eid zu entsagen, persönlich erlebt und sich gefragt, wie es wohl sein musste, auf einmal mehr als nur einem zu entsagen, aber jetzt konnte sie es mit eigenen Augen sehen. Talene schrie, bis sie keine Luft mehr hatte, dann holte sie tief Atem, um erneut zu schreien, bis Seaine damit rechnete, dass Leute aus der Burg nach unten gestürzt kamen. Die hochgewachsene Grüne wurde von Krämpfen geschüttelt, ihre Arme und Beine zuckten, dann bog sich plötzlich ihr ganzer Körper durch, bis nur noch Kopf und Fersen die graue Oberfläche berührten. Jeder Muskel war angespannt, ihr ganzer Leib eine einzige Verkrampfung.
So unvermittelt Talene von dem Krampf überfallen worden war, so abrupt sackte sie in sich zusammen, als hätte sie keine Knochen mehr, und blieb weinend wie ein kleines Kind liegen. Der Eidstab rollte aus ihrer schlaffen Hand auf die schräge graue Oberfläche des Throns. Yukiri murmelte etwas, das nach einem andächtigen Gebet klang. Doesine flüsterte mit zitternder Stimme ununterbrochen »Licht! Licht! Licht!«
Pevara hob den Stab auf und schloss Talenes Finger erneut darum. Seaines Freundin kannte keine Gnade, nicht bei einer solchen Angelegenheit. »Jetzt schwört die Drei Eide!«, forderte sie unnachgiebig.
Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als würde sich Talene weigern, dann wiederholte sie langsam die Eide, die sie alle zu Aes Sedai machten und zusammenhielten. Niemals ein Wort zu sprechen, das nicht wahr ist. Niemals eine Waffe herzustellen, mit der ein Mensch seinen Nächsten töten kann. Niemals die Eine Macht als Waffe zu benutzen, es sei denn zur Selbstverteidigung oder um das Leben ihres Behüters oder einer anderen Schwester zu schützen. Am Ende schluchzte sie lautlos und bebte am ganzen Körper. Vielleicht waren das die Eide, die sie banden. Sie bereiteten Unbehagen, wenn sie gerade geleistet worden waren. Vielleicht.
Dann teilte ihr Pevara den anderen Eid mit, den sie von ihr verlangten. Talene zuckte zusammen, murmelte die Worte aber mit hoffnungsloser Stimme. »Ich schwöre, Euch allen fünf bedingungslos zu gehorchen.« Sie starrte wie betäubt stur geradaus, Tränen rannen ihr über die Wangen.
»Antwortet mir wahrheitsgemäß«, forderte Saerin. »Gehört Ihr der Schwarzen Ajah an?«
»Das tue ich.« Es kam knirschend heraus, so als wäre Talenes Kehle eingerostet.
Die einfachen Worte ließen Seaine auf eine Weise erstarren, die sie nie für möglich gehalten hätte. Schließlich hatte sie sich aufgemacht, die Schwarzen Ajah zu jagen, und wie nur wenige ihrer Schwestern an ihr Ziel geglaubt. Sie hatte an eine andere Schwester Hand angelegt, an eine Sitzende, hatte geholfen, Talene in ein Gewebe aus Luft gehüllt durch verwaiste Kellerkorridore zu befördern, hatte ein Dutzend Burggesetze gebrochen, ernste Verbrechen begangen – und das alles nur, um eine Antwort zu hören, von der sie überzeugt gewesen war, sie bereits zu kennen, noch bevor man die Frage gestellt hatte. Jetzt hatte sie sie gehört. Die Schwarze Ajah existierte tatsächlich. Sie starrte eine Schwarze Schwester an, eine Schattenfreundin, welche die Stola trug. Und wie sich jetzt herausstellte, war der Glaube daran nur ein schwacher Abglanz der tatsächlichen Konfrontation. Sie konnte ein Zähneklappern nur deshalb verhindern, weil sie die Zähne krampfhaft zusammenbiss. Sie kämpfte um ihre Beherrschung, darum, nüchtern zu denken. Aber Albträume waren erwacht und wandelten in
Weitere Kostenlose Bücher