Das Rätsel der Fatima
den Vater meines Kindes geliebt. Und dass uns nicht mehr gemeinsame Zeit vergönnt war, ist das Einzige, was ich bedaure.«
»Ich bin enttäuscht von dir, Beatrice«, sagte Markus sichtlich beleidigt. »Dass ausgerechnet du es mit einem Kamel…«
»Halt!«, unterbrach ihn Beatrice und stand auf. »Ich glaube, du solltest jetzt gehen, bevor Worte fallen, die den letzten Rest Freundschaft zerstören, den es vielleicht noch zwischen uns geben mag.«
»Vermutlich hast du recht«, sagte Markus und erhob sich ebenfalls. »Fass es bitte nicht als Kritik auf, Beatrice, aber du hast dich sehr verändert.«
Sie gingen in den Flur, und Markus zog seinen Mantel an. Dann nahm er seine Schuhe und fuhr mit der Hand ein paarmal über das Leder, als müsste er sie von dem Schmutz in Beatrices Wohnung befreien.
»Besitzt du wenigstens einen Schuhlöffel, damit ich meine Slipper beim Anziehen nicht ruiniere?«
Diese Bemerkung und Markus’ vorwurfsvoll nachsichtige Stimme brachten Beatrice endgültig aus der Fassung. Mit einer heftigen Bewegung ergriff sie die Slipper, diese handgearbeiteten Schuhe, von denen einer mehr kostete als ein einwöchiger Urlaub in der Türkei; sie nahm die Schuhe, riss die Haustür auf und warf beide nacheinander die Treppe hinunter.
»So. Jetzt kannst du sie dir draußen anziehen. Verschwinde. Ich will dich nie Wiedersehen.«
Einen Augenblick starrte Markus sie entgeistert an. Dann kehrte das Leben in ihn zurück.
»Schlampe!«, schrie er und rannte auf Socken die Stufen hinunter, als gälte es, ein Leben zu retten und nicht ein Paar Schuhe einzusammeln.
Beatrice warf die Tür hinter ihm zu und ging in die Küche zurück. Der penetrante Geruch von Markus’ exklusivem Rasierwasser schlug ihr entgegen und raubte ihr fast den Atem. Es roch nach feuchtem grünen Schimmel.
Wenn ich dieses Aftershave noch eine Sekunde länger einatmen muss, ersticke ich, dachte Beatrice und riss das Fenster auf.
Dann räumte sie den Küchentisch ab und schmiss die Reste des Sushis in den Mülleimer. Es war ihr egal, dass sie vermutlich Lebensmittel im Wert von fünfzig Euro vernichtete. Sie wollte jede Erinnerung an Markus Weber aus ihrer Wohnung verbannen. Sofort. Als sie endlich mit ihrer Aufräumaktion fertig war, ging Beatrice den langen Flur entlang zu ihrem Wohnzimmer. Dort ließ sie sich auf das Sofa fallen und zog die Beine an. Noch war ihr Zorn nicht verraucht. Sie zitterte, ihre Wangen brannten, und am liebsten hätte sie irgendeinen Gegenstand genommen und ihn kurz und klein gehauen. Aber gleichzeitig fühlte sie sich erschöpft und müde. Ihr war übel. Und dann begann es in ihrem Bauch unangenehm zu ziehen.
Beatrice schloss die Augen und legte ihre Hände auf den Bauch. Das Kind strampelte und trat um sich. Natürlich war die Aufregung nicht spurlos an dem kleinen Wesen vorübergegangen. Sie streichelte über ihre Bauchdecke und hoffte, das Kind würde es spüren und sich wieder beruhigen. Doch da war erneut dieses unangenehme Ziehen, und gleichzeitig wurde die Bauchdecke hart wie ein Brett.
Eine Wehe?, schoss es Beatrice durch den Kopf. Aber das konnte doch nicht sein. Dafür war es viel zu früh. Sie war doch erst in der dreißigsten Woche schwanger.
Ich sollte ein Bad nehmen, dachte sie. Wenn ich mich entspanne, wird auch dieses Ziehen nachlassen.
Schwerfällig erhob sie sich und ging langsam ins Badezimmer. Ihre Muskeln taten weh, als hätte sie an einem Boxkampf teilgenommen. Jeder einzelne. Während das warme Wasser in die Badewanne einlief, entkleidete sie sich und gab ein paar Tropfen ätherische Öle hinzu – Melisse, Orangenblüten und Jasmin. Die Wirksamkeit von Kräutern und ätherischen Ölen hatte sie in Buchara kennen gelernt. Buchara… Doch das war ein anderes Leben, eine andere Zeit.
Beatrice stieg in die Wanne und ließ sich zurücksinken in die wohltuende Wärme des Wassers. Tief atmete sie die Dämpfe ein. Und mit den Düften kehrten auch die Erinnerungen zurück. Erinnerungen an eine seltsame Reise, eine Reise, die sie nicht nur in ein anderes Land, sondern sogar in eine andere Zeit und eine andere Welt geführt hatte. Erinnerungen an Buchara, an die Düfte auf den Bazaren und im Bad des Emirs, an die Stimme des Muezzin. Erinnerungen an die herrlichen Häuser der Kaufleute, an erlesenes Kupfer- und Messinggeschirr, an kostbare Teppiche, aber auch an Armut, Schmutz und Elend. Und Erinnerungen an die Menschen, die sie während ihres Aufenthalts in Buchara begleitet hatten –
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