Das Rätsel der Fatima
einen Stein zwischen Daumen und Zeigefinger. Das flackernde Licht der Fackel brach sich in ihm und versprühte blaue Funken. »Ist er das?«
Beatrice nickte. Ihr Mund war seltsam trocken. Sie brachte keinen Ton hervor.
»Maffeo hat nicht gelogen«, sagte Tolui leise. »Diesen Stein zu bewachen bedeutet keine Schändung des Grabes. Es ist eine Ehre.« Mit sichtlicher Willensanstrengung riss er seinen Blick von dem Saphir in seiner Hand los und sah Beatrice an. »Erzähl mir von diesem Stein, sofern es dir erlaubt ist. Was hat er zu bedeuten?«
»Große Macht«, meldete sich plötzlich eine laute Stimme hinter ihnen. »In der Hand der Gläubigen!«
Sie fuhren herum und sahen eine dunkel gekleidete Gestalt auf einer der Plattformen stehen. Wie sie dort hingekommen war, konnte Beatrice nicht sagen. Sie hatte niemanden kommen hören.
»Den Ungläubigen hingegen bringt er Tod und Verderben.« Leichtfüßig und elegant sprang der Mann die Treppenstufen empor und stellte sich breitbeinig vor sie hin.
»Ahmad!«, keuchte Tolui, als er ihn erkannte.
»Ganz recht, junger Freund, ich bin’s, Ahmad!« Der Araber lockerte die Tücher, die sein Gesicht verhüllten. Dann streckte er seine Hand aus. Beatrice fiel auf, dass er Handschuhe trug, dunkle Handschuhe aus einem dünnen Stoff, kaum geeignet für die in der Steppe herrschende Kälte, aber überaus nützlich für Heimlichkeit, Schnelligkeit und heimtückische Morde. Er hatte Ähnlichkeit mit einem Ninja. »Und nun gib mir den Stein. Aus freiem Willen, damit der Zorn Allahs dich und deine Nachkommen nicht trifft.«
Doch Tolui wich rasch zwei Schritte zurück und schloss seine Hand um den Stein.
»Niemals«, sagte er, und seine Augen funkelten. »Dieser Stein gehört Maffeo. Und er wird ihn auch zurückbekommen!«
Ahmad schüttelte den Kopf, mitleidig, bedauernd.
»Tolui, denk doch mal nach. Du bist jung, fast noch ein Knabe, dein ganzes Leben liegt noch vor dir. Willst du dieses Leben wirklich einfach so wegwerfen – für einen Stein, den du ohnehin nicht behalten kannst, weil er niemals dir oder einem anderen Mongolen gehören wird?«
»Du wirst es nicht wagen, hier an der Grabstätte meines Urgroßvaters…«
»Was sollte ich nicht wagen? Dich und diese Hure zu töten? Was sollte mich davon abhalten? Du etwa?«
Tolui atmete schwer. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er Mühe hatte, seinen Zorn noch länger zu zügeln. Er sah aus, als wäre er Ahmad am liebsten ins Gesicht gesprungen.
»Solltest du es wirklich wagen, Hand an mich oder Beatrice zu legen, so werden die Wächter deinem Frevel ein schmerzvolles Ende bereiten. Sie werden dich töten und in tausend Stücke reißen!«
Doch Ahmad warf seinen Kopf in den Nacken und lachte. »Du glaubst wirklich, dass mich eure lächerlichen Ammenmärchen und Spukgeschichten ängstigen können? Das Einzige, was ich fürchte, ist der Zorn Allahs, des Allmächtigen, und auch du solltest Ihn fürchten, denn Er straft jene, die sich Seinem Willen widersetzen, mit harter Hand.« Er winkte Tolui mit zwei Fingern zu sich. »Du sollst noch eine letzte Chance erhalten. Sei ein braver Junge und gib den Stein seinem rechtmäßigen Besitzer zurück.«
»Nein. Niemals…«
»Gut«, unterbrach ihn Ahmad, »dann werde ich dich wohl zwingen müssen.« Mit einer Bewegung, so schnell und unerwartet, dass man ihr kaum mit den Augen folgen konnte, hatte der Araber Beatrice ergriffen und sie auf die Füße gezogen. Und schon im nächsten Moment fand sie sich in seinen Armen wieder – mit einem scharfen, spitzen Dolch an der Kehle.
»Du Elender!« Außer sich vor Zorn sprang Tolui auf den Araber zu. »Ich werde dich…«
»Nur zu, noch einen Schritt näher, und du besiegelst das Schicksal dieser Hure.« Er drückte Beatrice das Messer so gegen die Kehle, dass sich die Spitze schmerzhaft in ihre Haut bohrte. »Sei jetzt vernünftig und gib mir den Stein. Andernfalls muss ich sie töten. Mit deinem eigenen Dolch. Das willst du doch sicher nicht, oder?«
»Nein, Tolui, tu das nicht!«, stieß Beatrice mühsam hervor. Das Messer kratzte an ihrer Haut. Aber sie musste Tolui davon abhalten, Ahmad den Stein zu geben. Er würde sie ohnehin töten, beide. »Wenn der Stein diesem Kerl in die Hände fällt, wird er…«
»Schweig!« Ahmad presste ihr seine Hand auf den Mund, sodass sie nichts mehr sagen konnte und kaum noch Luft bekam. »Das ist jetzt meine letzte Aufforderung, Tolui. Gib mir endlich den Stein, oder die Hure wird hier vor
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