Das Rätsel der Fatima
bemerkte. »Warum? Was will er von mir?«
Ahmad zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Er braucht dich und will dich haben. Mehr hat er mir nicht gesagt.«
»Und du?« Ihre Angst wich allmählich dem Zorn. »Was ist dein Lohn für den Mord an Dschinkim, Tolui und mir? Was springt für dich dabei heraus?«
Ahmad lächelte. Triumphierend hielt er den Saphir zwischen Daumen und Zeigefinger hoch.
»Der Stein der Fatima«, sagte er. »Wie lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet. All die Jahre des Wartens haben nun endlich ihre Vollendung gefunden. Nichts war umsonst. Das Dasein als Kaufmann, der Umgang mit den Ungläubigen. Nun kann ich endlich Allahs Rache am Volk der Mongolen vollziehen. Ich werde sie alle vernichten. Einen nach dem anderen. Und von ihren Städten wird kein Stein mehr übrig bleiben.«
»Du bist wahnsinnig!«, schrie Beatrice. »Glaubst du allen Ernstes, dass dies Allahs Wille ist? Wer oder was bist du, dass du es wagst, Leben, das Allah in seiner unendlichen Güte erschaffen hat, zu vernichten? Hast du etwa die Macht, auch nur einem deiner Opfer das Leben wieder zurückzugeben? Bist du…«
»Schweig!«, schrie Ahmad und schlug Beatrice mit seinem Handrücken ins Gesicht. »Schweig, du elendes Weib, du Ungläubige! Du weißt überhaupt nichts!«
Trotzdem hatte Beatrice den Eindruck, dass sie Ahmad an einem wunden Punkt getroffen hatte. Aus irgendeinem Grund wirkte er nicht mehr so selbstsicher wie zuvor.
»Komm jetzt, wir müssen zurück.«
Er packte ihren Arm und zerrte sie vom Boden hoch.
»Du wirst ohne mich gehen müssen«, sagte Beatrice und biss sich auf die Lippe. Eine neue Wehe kam. Es war die heftigste bisher. »Ich bekomme jetzt ein Kind.«
»Aber das…« Fassungslosigkeit stand auf seinem Gesicht geschrieben. Er wurde unsicher. »Du lügst!«
»Nein, leider nicht«, erwiderte Beatrice und stöhnte. Sie versuchte, ruhig zu atmen. Sie hatte nie einen der Vorbereitungskurse gemacht. Irgendwie war ihr dieses Gruppenhecheln immer komisch vorgekommen. Trotzdem hatte sie ein paar Grundkenntnisse, die sie im Laufe der Zeit von schwangeren Freundinnen, Kolleginnen und Frauen in Bussen und U-Bahnen aufgeschnappt hatte. Die konnte sie jetzt nutzen.
Vor allem wollte sie nicht schreien, sich vor den Augen und Ohren dieses Mannes keine Blöße geben. Aber was sollte sie machen, es tat so hundsgemein weh.
Ahmad lief nervös auf und ab, völlig aus dem Konzept gebracht. Schließlich holte er den Stein hervor.
»Hier. Dieser Stein hat die Macht, deine Lüge zu entlarven.« Er legte ihr den Stein auf den Bauch. »Der heilige Stein der Fatima wird dir ein Loch in die Seele brennen, dir den Frevel austreiben und deine Zunge verdorren lassen.«
Beatrice schrie. Die Schmerzen waren mittlerweile so stark, dass sie sich fragte, wie sie sie noch länger ertragen sollte.
Und dann fühlte sie, wie etwas in ihr platzte.
Zwischen ihren Beinen wurde es nass, und Flüssigkeit sprudelte hervor, als hätte sich mitten in ihrem Leib eine Quelle aufgetan.
Woher kommt nur all die Flüssigkeit?, dachte sie und legte eine Hand auf den Stein, der auf ihrem Bauch lag. Das müssen mindestens zehn Liter sein.
Als hätte sie sich Watte in die Ohren gestopft, hörte sie Schritte, eilige, schwere Schritte von vielen Stiefeln auf dem Steinfußboden. Dumpfe Schreie, Stimmen. ‘Wie aus weiter Ferne erklang die Stimme Khubilais, der Ahmads Namen rief. Waffen klirrten. Um sie herum blitzte und funkelte es, als würde hier, mitten in Dschingis Khans Grabe, ein Gewitter entfesselt. Sie versuchte, sich an einer der Statuen zu orientieren, aber sie bewegten sich. Waren sie doch noch zum Leben erwacht, wie Tolui gesagt hatte? Wollten die steinernen Wächter den Frevel am Grab des großen Herrschers rächen? Doch dann sah sie, dass sich die Statuen im Kreis um sie herum drehten. Immer schneller und schneller drehten sie sich.
Es passiert wieder!, dachte Beatrice noch. Jetzt verstehe ich das Orakel. Jie und Ji Ji. Gewalt und ein Sprung über den großen Fluss der Zeit…
Dann kam erneut eine Wehe. Und diesmal war der Schmerz so heftig, dass sie das Bewusstsein verlor.
20
Als sie wieder ihre Augen aufschlug, war sie geblendet von dem hellen, gleißenden Licht, das sie umgab. War sie etwa doch nicht zu Hause gelandet? War sie etwa tot? War dies der Himmel, das Paradies?
Doch dann hörte sie das Pochen und Fauchen des CTG, sie hörte Stimmen, die von Infusion und Blutdruck sprachen, und sie
Weitere Kostenlose Bücher