Das Rätsel der Fatima
der Wächter zurück. Ein weiterer Fehler, wie Beatrice fand. Denn einen besseren Hinweis darauf, dass sie hier waren, konnten sie gar nicht hinterlassen. Aber sie wollte sich nicht mit Tolui streiten.
Der junge Mongole entzündete eine neue Fackel. Ihr Lichtschein wurde von unzähligen Spiegeln reflektiert. Und was Beatrice dann sah, ließ sie auf der Stelle alles vergessen, was ihr bis zu diesem Augenblick Sorgen gemacht hatte.
Vor ihnen breitete sich ein riesiger Raum aus, wobei »Raum« das falsche Wort war, denn was sie sah, war eher mit einer Halle vergleichbar. Tatsächlich handelte es sich um ein Höhlensystem, das offenbar den ganzen Hügel und noch weite Teile der Umgebung dazu ausfüllte. Es gab auf natürlichem Wege entstandene Terrassen und von Menschenhand geschaffene Treppen aus Stein und Marmor, gemauerte Plattformen und zierliche Brücken sowie Stützpfeiler, in Jahrtausenden geformt durch einen unterirdischen Fluss. Vielleicht war es immer noch derselbe Fluss, der jetzt die unterirdische Quelle speiste und hier, mitten in einem Grab, für frisches Wasser sorgte. Überall auf den Terrassen und Plattformen standen die Grabbeigaben für die letzte Reise des großen Herrschers der Mongolen: Truhen, goldene Statuen und kostbare Möbel, sogar lebensgroße Pferde, Teppiche und Krüge, in denen vermutlich Getränke und Speisen lagerten. Was hatte sie gestern noch gedacht? Hier würde es keine Schätze geben? Von wegen!
Merk dir diesen Ort für später, schoss es Beatrice durch den Kopf. Wenn du eines Tages wieder zu Hause bist, rüstest du eine Expedition aus und beginnst mit den Ausgrabungen.
Dann wirst du reich und brauchst nie wieder Nachtdienste und Überstunden zu machen.
Wie in einem Traum folgte sie Tolui die Treppe hinab. Steinerne Krieger hielten auch hier ihre stumme Wache. Und tatsächlich hatte Beatrice das Gefühl, als würden ihre misstrauischen Blicke jedem ihrer Schritte folgen.
»Mein Gott!«, sagte sie schließlich, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte. Sie ließ ihre Finger über das Holz einer Truhe gleiten, deren bäuerliche Schnitzerei sie an das mittelalterliche Europa erinnerte. Vielleicht kommt sie ja tatsächlich aus Ungarn oder Polen. »Das ist ja wirklich unglaublich! Woher stammt das alles?«
»Mein Urgroßvater hat die ganze Welt beherrscht. Er ist sogar bis ins ferne Abendland vorgedrungen. Und von jedem seiner Feldzüge hat er unzählige Schätze mitgebracht.«
Natürlich, dachte Beatrice. Das ist alles Kriegsbeute. Was denn sonst.
»Aber du hast recht«, sagte sie. »Wenn wir den Stein nicht durch einen glücklichen Zufall finden, werden wir Jahre brauchen.«
»Wie sieht dieser Stein denn aus?«, fragte Tolui.
»Es handelt sich um einen Saphir, einen Stein von der Größe einer Walnuss, der eine oder mehrere Bruchkanten hat. Unter normalen Umständen würde ich sagen, dass es kein Problem ist, ihn zu finden. Er ist nämlich außergewöhnlich schön. Aber hier…« Sie zuckte resigniert mit den Schultern. »Das ist wie die berühmte Nadel im Heuhaufen oder der Diamant im Kronleuchter. Ich weiß wirklich nicht, wo und wie wir mit der Suche beginnen sollen. Maffeo hat ein geniales Versteck gefunden, das muss man ihm lassen. Aber er hätte uns auch gern noch ein paar Tipps geben dürfen.«
Tolui kratzte sich am Kopf und sah sich um.
»Vielleicht sollten wir am Sarkophag meines Urgroßvaters beginnen«, schlug er vor. »Er steht am hintersten Ende der Grabanlage. Und wenn wir den Stein dort nicht finden, arbeiten wir uns Stück für Stück wieder nach vorne vor.«
»Gut«, stimmte Beatrice zu und spürte, wie sich das Ziehen im Rücken verstärkte und ringförmig zum Bauch und den Leisten hin ausbreitete.
Hoffentlich habe ich mir jetzt nicht noch einen Bandscheibenvorfall zugezogen, dachte sie und rieb sich den Rücken. Das würde die Heimkehr zu einer Tortur machen.
Während sie die Treppen hinauf- und hinunterstiegen, Brücken überquerten und sich auf schmalen Wegen an den Truhen, Spiegeln, Stühlen und Schränken vorbeizwängten, fragte sich Beatrice, ob dieses Grab in den folgenden Jahrhunderten jemals entdeckt und geplündert worden war. Die Mär von den hier verborgenen Schätzen musste sich doch unter Historikern, Grabräubern und Archäologen herumgesprochen haben. Oder hatte man das Grab des Dschingis Khans ebenso wie die Existenz von Shangdou in den Bereich der Sagen und Märchen eingestuft, von den Mongolen nur erfunden, um ihren Herrscher in den
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