Das Rätsel der Hibiskus-Brosche
Umgebung und auch das Essen, das sie auf dem Tablett
gelassen hatten, zu erkennen: ein paar dicke Brotscheiben, ein Stück kaltes
Fleisch und einen großen Krug mit dampfendem Tee. Hoffnungslos beschaute sie
sich das alles. Sie hatten von »morgen« gesprochen — sie mußte also die ganze
Nacht hierbleiben. Ganz plötzlich schien alle Hoffnung von ihr zu weichen. Sie
fühlte sich hilflos, ausgeliefert — genauso, wie sie gegen die Seitenwände des
Wagens getrommelt hatte. Diese Männer konnte man weder erschrecken noch
bedrohen. Der bloße Gedanke, sie durch Schmeichelei zu gewinnen, machte ihr
Pein, und instinktiv fühlte sie, daß jegliche Tricks hier nutzlos waren — sie
war geschlagen.
Sie legte sich zurück und
drehte ihr Gesicht verzweifelt der Wand zu, als sie plötzlich ganz deutlich
Jerrys Stimme zu hören meinte. Eines Tages war sie einmal bös von Sahib
abgeworfen worden. Sie war hinkend und übel zerschlagen aufgestanden und sofort
wieder auf das Pferd gestiegen. Da hatte Jerry gesagt: »Alle Wetter! Du mußt
doch verletzt sein! Dein Gesicht ist blutig, und guck deine Hand an! Du meine
Güte, Beth, du bist vielleicht tapfer — du heulst und schreist nicht gleich
los!«
Das lebendige kleine Gesicht
mit der Himmelfahrtsnase schien ihr auf einmal ganz nahe. Sie setzte sich
kerzengerade auf. Sie wollte auch jetzt tapfer sein, und um tapfer zu sein,
mußte sie unbedingt etwas essen. Sie warf einen abschätzenden Blick auf die so
gar nicht appetitliche Kost und trank dann erst einmal aus dem Krug. Sie trank
in langen Zügen und aß auch eine Scheibe Brot mit ein bißchen Fleisch.
Allerdings nicht viel, weil sie ganz plötzlich von großer Müdigkeit überwältigt
wurde. Erst jetzt dachte sie daran, was der Mann gemeint hatte, als er so
höhnisch sagte: »Sie soll erst mal ordentlich schlafen!« In dem Tee war ein
Schlafmittel! Sie wollten sichergehen, daß sie sich die Nacht über ruhig
verhielt.
Aber was machte das schon? Es
war entschieden besser zu schlafen, und wenn’s durch ein Schlafmittel war.
Aber Bill würde entsetzt sein.
Beth mußte richtig lachen bei dem Gedanken. Lieber Bill! Ja, er hatte
regelrechten Abscheu vor Drogen und runzelte die Stirn schon bei ein paar
Aspirin. Aber sie dachte, daß er ihr in dieser Nacht bestimmt nicht das bißchen
Trost mißgönnen würde. Er würde ihr auch gönnen,
endlich zu schlafen — und am Morgen würde er da sein, irgendwie, auf wunderbare
Weise da!
Er würde ihr zulächeln und
ziemlich verdrossen sagen: »Was ist denn mit dir los? Du hast uns ja was
Schönes eingebrockt«, und dann würde er seinen Arm um sie legen und sie von
diesem schrecklichen Ort wegführen. Beth lag auf dem schmutzigen Bett, lächelte
noch einmal, murmelte ganz leise »Bill!« und schlief ein.
12
Inspektor Wright und Sergeant
Wade, der ihm zugeteilt worden war, sahen besorgt aus. »Es ist toll. Immer noch
nichts! Jemand muß sie doch gesehen haben! Ein Mädchen kann doch nicht einfach
vom Erdboden verschwinden!«
Wade nickte. »Wir haben den
ganzen Bezirk durchgekämmt, um irgend etwas zu
finden. Sicher sind eine Menge Fremde hier durchgekommen auf dem Weg zu der
Jagd. Einige mögen auch hier geblieben sein, aber jedenfalls nicht in
irgendeinem Hotel.«
»Und einer von ihnen könnte
natürlich Mrs. Cox umgebracht haben, so ganz
nebenbei, nachdem er die Ladenkasse ausgeplündert hatte. Er wollte sie bloß zum
Schweigen bringen und hat zu stark zugeschlagen. Natürlich ist das möglich,
Sergeant, aber offengestanden , ich glaube es nicht.
Das sind keine Zufallsverbrechen. Die sind genau geplant. Andererseits, wie
paßt dieses Verschwinden dazu? Wenn wir da nur eine Verbindung finden könnten,
zwischen Mrs. Cox und dem Mädchen. Aber es gibt
keine.«
»Ausgenommen die Brosche. Aber
das ergibt keinen Sinn.«
Wright schwieg einen Augenblick
und sagte dann: »Ich wundere mich, daß Sie diese Verbindung auch sehen. Sie ist
zwar unsinnig, wie Sie sagen, aber es ist die einzige. Wenn wir doch dahinterkämen,
was es mit der Brosche auf sich hat.«
»Hat Mr. Middleton irgend etwas über das Mädchen herausbekommen? Er ist
gestern die ganze Jagdstrecke abgelaufen. Und heute morgen noch mal. Ich glaube, er hat nichts gefunden, was uns weiterhelfen könnte.«
»Ich weiß es nicht. Er deutete
etwas an, aber es war sehr vage, und er wollte sich erst noch Gewißheit
verschaffen. Er wird gleich hereinkommen, wenn ich mit Reynolds und Alec
Sutherland spreche. Nicht etwa, daß
Weitere Kostenlose Bücher