Das Raetsel der Liebe
nach, ob der Köder noch am Haken steckte, und warf die Schnur aus. Der Haken landete im Wasser und wurde beinahe sofort nach unten gezogen. Lydia entfuhr vor Überraschung ein kleiner, spitzer Aufschrei. Sie versuchte, die Schnur einzuholen, doch die erschlaffte, noch bevor sie auch nur zwei Umdrehungen an der Rolle zustande gebracht hatte. Schnell holte sie den Rest ein und warf die Angel erneut aus.
Der Haken blieb an etwas hängen. Sie keuchte leise auf und packte die Angelrute fester.
Aufrollen! Aufrollen!
Sie beugte sich nach vorne. Ihr Herz klopfte stürmisch, während sie die Schnur weiter aufspulte. Am anderen Ende zog der Fisch.
Sie hatte ihn! Sie musste nur noch –
Ihr Gewicht verlagerte sich. Sie versuchte, den Fuß gegen einen Ast zu stemmen, um sich abzustützen, doch er glitt auf dem glitschigen Moos weg. Entsetzt stellte sie fest, dass sie von dem Baumstamm zu rutschen begann.
Wieder zog der Fisch an der Schnur, stärker diesmal. Instinktiv packte sie die Rute mit beiden Händen. Wenn sie –
Ein spitzer Aufschrei, als sie nach vorne kippte und kopfüber ins Wasser fiel wie ein Pinguin, der sich von einer Eisscholle stürzt. Kaltes Wasser umspülte sie und saugte sich in ihre Kleider. Ihre Kehle verkrampfte sich, sie bekam keine Luft mehr.
Bevor das Wasser über ihr zusammenschlug, hörte sie aus weiter Ferne ihren Namen rufen. Wasserpflanzen streiften ihr Gesicht wie Tentakel. Sie öffnete den Mund, um zu schreien, und schluckte Wasser. Strampelnd versuchte sie, sich wieder an die Oberfläche zu kämpfen und nach etwas zu greifen, an dem sie sich festhalten konnte.
Oh Gott, sie konnte in allen Einzelheiten vor sich sehen, wie ein Konstabler den Bericht ausfüllte –
Mathematikerin ertrinkt aufgrund Fehlkalkulation.
Sie strampelte stärker. Ihre Rechte bekam ganz kurz einen Ast zu fassen, der unter Wasser lag, dann zog die Strömung sie wieder nach unten. Ihre Lungen weiteten sich. Ihr Brustkorb fühlte sich an, als würde er jeden Augenblick platzen.
Plötzlich packten zwei starke Arme ihre Taille und rissen sie nach oben. Ihr Kopf kam aus dem Wasser. Ihr Mund öffnete sich zu einem hustenden, keuchenden Atemzug. Endlich füllte sich ihre Lunge wieder mit himmlischer Luft.
Noch ein energischer Zug, und sie lag auf dem harten Flussufer, wo herber Grasgeruch ihr in die Nase stieg und die Sonne heiß auf ihr Gesicht herunterbrannte.
»Lydia!«, rief Alexander drängend. Seine Stimme durchschnitt das immer noch sehr laute Rauschen in ihren Ohren.
Sie öffnete die Augen und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht. Dann blickte sie nach oben. Über ihr schwebten, dicht an dicht, vier Gesichter, alle ängstlich und besorgt.
»Geht es Ihnen gut?« Talia schob Lydia die nassen Haare aus der Stirn. »Ich hörte Sie schreien, und wir liefen alle sofort hierher, so schnell wir konnten –«
Lydia nickte blinzelnd. Sie war so dankbar, wieder frische Luft zu atmen, dass sie sie nicht mit Sprechen vergeuden wollte.
Alexander blickte sie finster an. »Was zum Teufel haben Sie hier gemacht?«
Lydia versuchte, sich den Ablauf des Geschehens ins Gedächtnis zurückzurufen.
»Jetzt schrei sie doch nicht so an, Alex.« Talia schob die Männer weg und half Lydia, sich aufzusetzen. Sie wickelte sie in die Picknickdecke und versuchte, ihr Haar etwas zu trocknen.
»Ich w-wollte herausfinden, wie weit ich wohl auf d-diesem Baumstamm kriechen k-könnte«, begann Lydia zähneklappernd. »Ich wiege knapp sechzig Kilo … und dieser Felsbrocken dort, sehen Sie … das ist der Drehpunkt. Aber ich habe die T-Trägheitsmomente falsch b-berechnet.«
Die anderen schwiegen und starrten sie völlig verblüfft an. Außer Alexander, der sich offenbar kaum das Lachen verkneifen konnte. Seine Mundwinkel zuckten.
»Nun, so einen Fehler machen wir doch alle mal, oder nicht?«, sagte Talia fröhlich. »Hatten Sie –«
Sie schaute auf Lydias Hände, und Lydia folgte ihrem Blick. Tatsächlich hielt sie mit der Linken immer noch die Angelrute umklammert, und die Schnur war nach wie vor gespannt.
»Oh!« Das Wort war eher ein Krächzen. Mit vor Kälte zitternden Fingern begann sie, die Schnur einzuholen. »Da war ein Fisch … eine fette Regenbogenforelle. Fünf Pfund, mindestens! Die würde ein prächtiges Abendessen abgeben. Wir könnten zerlassene Butter dazu machen. Sie hat sich unglaublich heftig gewehrt und hat mich von dem Baum heruntergezogen, ehrlich! Sie würden nicht glauben –«
Lydia riss das letzte
Weitere Kostenlose Bücher