Das Raetsel der Liebe
er sie hielt.
Natürlich spielte es doch eine Rolle. Und zwar eine große.
Sie schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf ihre Berechnungen.
Als es an der Tür klopfte, legte Lydia mit einem frustrierten Seufzer den Stift beiseite und schob den Stuhl zurück. Ihre Augen weiteten sich, als sie die Tür öffnete und Northwood auf dem Flur stehen sah, in der Hand eine … Angelrute?
»Was in aller Welt …?«
Er hielt das Gerät hoch, und in seinen Augen blitzte etwas auf, das sie dort noch nie zuvor gesehen hatte. »Angeln«, sagte er. »Haben Sie das schon mal gemacht?«
»Nein.«
»Na, dann kommen Sie. Es ist ein Riesenspaß.«
Lydia sah sich zum Schreibtisch um, wo ihr unfertiger Aufsatz wartete. Northwood gab einen ungeduldig klingenden Laut von sich.
»Fünf Minuten, Lydia«, sagte er warnend. »Wenn es unbedingt sein muss, können Sie ja das Verhältnis von Fischen zu Wassertropfen berechnen oder etwas ähnlich Absurdes. Wir warten im Garten.«
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging die Treppe hinunter. Lydia erinnerte sich an das selbst gegebene Versprechen, dass sie den kurzen Aufenthalt hier genießen würde. Bei dem Gedanken, angeln zu gehen, überkam sie ein angenehmes Gefühl der Vorfreude – es war eine von zahlreichen Sportarten, an denen teilzunehmen sie sich niemals vorgestellt hatte. Also legte sie Umhang, Hut und Handschuhe an, warf einen prüfenden Blick in den Spiegel und ging in den Garten hinaus.
Sebastian, Talia und Castleford standen wartend neben dem Rosenbeet, die beiden Letzteren ausgerüstet mit allem möglichen Angelzubehör. Sebastian hielt einen riesigen Picknickkorb in den Armen.
»Ah, wie schön, dass Sie uns begleiten, Miss Kellaway«, strahlte Castleford. »Sie werden dafür sorgen, dass Northwood uns nicht anlügt, was die Größe seines Fangs betrifft.«
Lydia musste lachen. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Northwood jemals in Bezug auf irgendetwas lügen würde und hinsichtlich der Größe seines Fangs schon gar nicht. Der Viscount schenkte ihr ein breites Lächeln, dessen Wärme sie mit einem wonnigen Glühen erfüllte.
Die drei Männer machten sich auf den Weg zum Fluss. Unterwegs fachsimpelten sie über den Wind und das Wetter und ob die Forellen wohl beißen würden. Sie verbreiteten eine entspannte Stimmung der Fröhlichkeit und guten Laune.
Northwood wirkte gelöst. Er ging mit langen, federnden Schritten voran. Auf seinem dunklen Haar schimmerte Sonnenlicht.
Bei seinem Anblick löste sich ein Knoten in Lydia. Der Kopfschmerz verflog, und ihr wurde leicht ums Herz. Sie fand es schön, ihn so fröhlich und unbeschwert zu sehen, sein Lachen zu hören. Sie mochte das sehr. Möglicherweise zu sehr.
»Sie sind schon seit vielen Jahren befreundet.« Talia schloss zu Lydia auf, während sie ihren Hut gegen die Sonne zurechtrückte und mit einem Nicken in Richtung der drei Männer deutete. »Sie waren auf derselben Schule, Sebastian natürlich zwei Jahre unter den anderen beiden. Castleford begann nach dem Studium zu reisen, um das Geschäft seines Vaters zu erweitern. Er hat eine unglaubliche Energie. Er war während der letzten fünf Jahre kaum in London.«
Ein leichter Hauch von Wehmut in der Stimme der jüngeren Frau veranlasste Lydia, sie anzusehen. Talias Blick verlor sich irgendwo in der Ferne, hinter dem wirbelnden Band des Flusses.
»Aber er kam zurück, als … nachdem diese furchtbare Sache passiert war«, fuhr sie fort. »Um unsere Familie zu unterstützen, privat, aber auch in der Öffentlichkeit. Das hat es uns wirklich leichter gemacht. Wir sind ihm dafür zu großem Dank verpflichtet.«
Lydia wurde bewusst, dass erst zwei Jahre vergangen waren, seit Talias Mutter auf Nimmerwiedersehen verschwunden war.
»Es ist nicht leicht, oder?«, fragte sie, ohne nachzudenken.
Talia wandte sich ihr zu. »Was?«
»Dass Sie Ihre Mutter verloren haben.«
Einen Augenblick lang starrte Talia sie mit ihren großen grünen Augen an. Lydia schluckte und wurde rot, als ihr bewusst wurde, dass ihre direkte Art die andere Frau tief verletzt haben musste.
»Es tut mir leid, ich –«
»Nein.« Talia nahm ihren Arm. »Nein, bitte entschuldigen Sie sich nicht. Sie haben ja recht. Es ist wirklich nicht leicht. Eigentlich ist es eines der schrecklichsten Dinge, die ich mir vorstellen kann. Und wissen Sie, was das Schlimmste ist? Obwohl ich furchtbar wütend auf sie bin, vermisse ich sie.« Sie lachte hohl. »Töricht, nicht
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