Das Raetsel der Liebe
mich mein Vater an, weiterhin bei ihr zu sitzen, um zu sehen, ob ich sie noch einmal erreichen könnte.«
»Und, hast du das getan?«
»Mehrere Wochen lang, ja. Dann verschlechterte sich ihr Zustand deutlich. Mein Vater fragte die Nonnen, ob ich bis zu meiner Niederkunft da bleiben könnte, und sie waren einverstanden.
Niemand außer Dr. Cole wusste um meine Schwangerschaft, und es bestand ja keinerlei Gefahr, dass er irgendjemandem davon erzählen würde. Also schlug meine Großmutter vor, dass wir nach der Geburt des Kindes allen sagen sollten, es sei von meiner Mutter. Mein Vater stiftete dem Sanatorium eine ansehnliche Summe, um sicherzustellen, dass die Nonnen diese Version bestätigen würden. Das … es reduzierte seine finanziellen Mittel beträchtlich. Er hat sich nie ganz davon erholt.«
Lydia hob den Kopf. Ihr Herz begann erneut angstvoll zu pochen. Alexander stand auf der anderen Seite des Zimmers und sah sie eindringlich an. In seinen Augen lag Müdigkeit. Doch sie konnte weder Missbilligung noch Abscheu in ihnen entdecken, wie sie befürchtet hatte.
»Weiter«, sagte er nur.
»Nach Janes Geburt blieben wir noch ein ganzes Jahr in Lyon. Dann starb meine Mutter, und wir kehrten nach London zurück. Unsere Geschichte war logisch und unanfechtbar. Jane galt als die Tochter meiner Mutter und meines Vaters. Meine Schwester.«
»Und ihr habt dieses Geheimnis die ganze Zeit über bewahrt.«
»Ja. Die Leute wussten zwar, dass es meiner Mutter nicht gut gegangen war, bevor sie starb, aber niemand hatte Grund, daran zu zweifeln, dass Jane nicht die Tochter meines Vaters war. Alle nahmen an, sie sei das legitime Kind meiner Eltern. Sogar unsere entfernten Verwandten glaubten das. Selbstverständlich hatten wir keinerlei Interesse, daran etwas zu ändern. Und so blieb es dabei.«
»Ihr habt es niemals jemandem erzählt?«
»Meine Großmutter fürchtete, wenn die Wahrheit ans Licht käme, würde das unserer Familie einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen und ich müsste fortgehen«, sagte Lydia. »Also wurde mir gestattet, Jane zu unterrichten und meine Arbeit als Mathematikerin fortzusetzen, wenn auch in aller gebotenen Anonymität, um zu verhindern, dass ich zufällig Dr. Cole wiederbegegnete. Großmutter achtete selbstverständlich auf höchste Schicklichkeit und tadelloses Benehmen. Angesichts der Umstände kann ich ihr deswegen keinerlei Vorwürfe machen. So ging es die letzten knapp zwölf Jahre.«
Bis jetzt. Bis du kamst.
Er lief mit langen Schritten zum Fenster und wieder zurück. »Und Jane kannte die Wahrheit nicht?«
Wieder krampfte sich ihr Herz vor Qual zusammen. »Sie … das Medaillon, Alexander. Es hat ein zweites Fach hinter dem ersten. Mein Vater ließ es speziell anfertigen.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Er legte eine Glücksmünze hinein, bevor er die Kette meiner Mutter schenkte. Die Münze ging vor langer Zeit verloren, aber seit Janes Geburt befand sich ein kleiner Schlüssel an dieser Stelle. Ich bewahrte ihre Geburtsurkunde in einem verschlossenen Kästchen aus Kupfer auf, und den Schlüssel dafür versteckte ich in jenem geheimen Fach des Medaillons. Niemand außer mir wusste davon.« Sie sah ihm in die Augen. »Das Medaillon war fast drei Monate lang in deinem Besitz. Ist dir denn nie aufgefallen, dass es ein zweites Fach hat?«
»Nein. Ich habe es nicht genauer untersucht. Ich wusste noch nicht mal, dass es so etwas überhaupt gibt.« Er runzelte die Stirn. »Du hast meine Frage nicht beantwortet. Weiß Jane die Wahrheit?«
Lydias Tränen quollen über. »Nachdem du ihr das Medaillon gegeben hattest, fand sie den Schlüssel. Und sie kam dahinter, dass er zu dem Kupferkästchen gehört, das immer im Arbeitszimmer meines Vaters gestanden hatte.«
Alexander schwieg eine Weile. Dann stieß er einen gedämpften Fluch aus. »Verdammt. Hat sie sich deswegen mit Cole getroffen? Himmelherrgott, wenn ich nicht …«
»Hör auf. Tu das nicht. Nicht jetzt.«
Das Geräusch seiner Schritte klang dumpf auf dem dicken Teppich. Sie sah hoch, als er dicht neben ihr stehen blieb. Seine Haltung war starr, er ließ die Arme hängen und seine Hände waren zu Fäusten geballt.
So viele Fehler. So viel Schmerz.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie. »So unendlich leid.«
»Ich … ich war sehr unbarmherzig, nicht wahr?« Seine Stimme troff vor Selbstekel. »Ich habe dich einfach nicht in Ruhe gelassen. Ich konnte es nicht.«
»In einem ganz geheimen Winkel meines
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