Das Rätsel der Templer - Roman
Eisenschloss zu Henri d’Ours unfreiwilligem Domizil. Eine Maßnahme, die der Tatsache Hohn spottete,
dass er – wie alle Gefangenen an Armen und Beinen in Ketten gelegt – wohl kaum in der Lage sein würde, das Weite zu suchen.
»So mein Guter, auf zur nächsten Runde.« Die Ironie in der Stimme des Mannes war nicht zu überhören. »Man erwartet Euch bereits.«
Rücksichtslos zerrte er Henri d’Our aus der finsteren Behausung heraus.
»Heilige Jungfrau Maria«, betete der Komtur von Bar-sur-Aube lautlos, während er Mühe hatte, auf die Beine zu kommen. »Lass
mich stark bleiben in meiner Ehre und mutig im Glauben an das Gute in der Welt.«
Als er jedoch in die große, hell erleuchtete Folterkammer gelangte, war es um seinen Mut geschehen. Ein Stich fuhr ihm ins
Herz, als er erkennen musste, dass mit Francesco de Salazar ein weiterer Ritterbruder seiner Komturei in die Hände der Gens
du Roi gefallen war.
Und was die Sache weit schlimmer machte, war die weinende junge Frau, die an seiner Seite saß. Ohne Zweifel handelte es sich
um die Schwester des ehemals stolzen Katalanen, weil sie mit den gleichen, großen Haselnussaugen zum Komtur der Templer von
Bar-sur-Aube aufsah, als ob sie von ihm die himmlische Erlösung erwartete.
Francesco hing wie leblos und lediglich mit einer zerrissenen Unterhose am Leib an dem schräg gestellten Holzbrett wie Jesus
am Kreuz. Dunkel verfärbte Striemen überzogen seinen flachen Bauch, und münzgroße Brandmale umkreisten seine Brustwarzen wie
ein grausiger Reigen. Die Lippen, ausgetrocknet und blutverkrustet, waren dem unverwechselbaren Lachen mit den leuchtend weißen
Zähnen so fern wie nie zuvor.
Wie durch einen Nebel nahm Henri d’Our die nicht weniger vornehm gekleidete, ältere Frau wahr. Da sie offensichtlich in Ohnmacht
gefallen war, hatte man sie auf eine schmuddelige Matratze gebettet |10| und ihr Haupt von dem straffen Gebende befreit, das Frauen ihres Alters gewöhnlich trugen. Die dunklen, silberdurchwirkten
Locken und der olivfarbene Teint ließen auf Francescos Mutter, die Gräfin de Salazar, schließen. Ein Schauer überlief den
Komtur bei dem Gedanken, dass die Inquisition nicht einmal vor verängstigten Angehörigen Halt machte, um ihre Opfer zu einer
gefälligen Aussage zu zwingen.
Vornehmlich Frauen, getrieben von der Sorge um ihre Söhne und Brüder, wurden in die Verliese vorgeladen, um die bis dahin
standhaften Ritterbrüder zu einem belastenden Geständnis gegen den Orden zu bewegen. Nogaret und seine Leute wussten darum,
dass die gefangenen Templer die eigene Folter bis hin zum Tod ertrugen, nicht aber das Weinen und die Schreie der Frauen,
die dabei zuschauen mussten.
Neben der Gräfin stand ein Medicus. Er verkehrte regelmäßig an diesem Ort des Leidens, und in seinem langen schwarzen Gewand
nährte er in d’Our die Vorstellung von einem allgegenwärtigen Todesengel. Doch dann bemerkte der Komtur die Anwesenheit von
jemandem, bei dem diese Bezeichnung noch passender gewesen wäre: Guillaume Imbert, Großinquisitor, Bischof von Paris und persönlicher
Beichtvater Philipps IV. und zudem unseliger Verbündeter Guillaume de Nogarets.
»So sieht man sich wieder«, sagte der Mann im schwarzgrauen Surcot leise. Mit einem arroganten Lächeln entblößte er seine
scharfkantigen Zähne, derweil er nervös an seinem weißen Spitzenkragen zupfte.
Der dickbäuchige Foltergehilfe hatte den Komtur von Bar-sur-Aube inzwischen auf dem Boden abgesetzt und an eine hölzerne Kiste
gelehnt. Die Gliedmaßen in Ketten geschmiedet, das Genick steif wie ein Stock, traf d’Our von oben herab der vermeintlich
mitleidige Blick seines Peinigers.
»Nun ja«, resümierte Imbert in spöttischem Tonfall, »Wenn Ihr Euren Hochmut überwinden könnt und endlich eine vernünftige
Aussage für mich bereithaltet …«, beiläufig blickte er auf Francesco, »seid Ihr es vielleicht, der das Leben dieses Jungen
zu retten vermag …«
Francescos Schwester hatte die Bemerkungen des Inquisitors mit weit geöffneten Augen verfolgt, und nun sprang sie auf und
warf sich vor d’Our in den Schmutz, das Gesicht zwischen ihren ausgestreckten Armen unter einer Flut von herabfallenden Locken
verborgen.
|11| »Edler Mann«, klagte sie schluchzend, »was immer man von Euch wissen will, kann nicht so geheim sein, dass man dafür auch
nur ein Menschenleben opfert! Ich flehe Euch an!«
Während ihr Körper von heftigen Weinkrämpfen
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