Das Rätsel der Templer - Roman
Verwaltung jeglichen sich nähernden Besuch, der seinem Vorgesetzten galt. Ohne eine
entsprechende Voranmeldung erlangte niemand Zutritt zu den Räumlichkeiten des Befehlshabers der hiesigen Komturei.
»Ihr könnt da jetzt nicht rein«, ließ Claudius vorsorglich verlauten, als er sah, dass Gero auf das Arbeitszimmer seines Komturs
zuhielt. »Er sitzt zu Rate mit Vater Augustinus und will im Augenblick nicht gestört werden.« Der Bruder streckte seinen dürren
Arm aus und öffnete seine Hand zu einer fordernden Geste, um die Botschaft stellvertretend in Empfang zu nehmen.
»Ich warte«, sagte Gero knapp. Claudius nickte beiläufig und |21| wandte sich mit einer missmutigen Miene seinem Schreibpult zu, während er seinen weiß gewandeten Bruder geflissentlich ignorierte.
Wenig später öffnete sich die Tür zum Gemach des Komturs, und der Kaplan der Komturei huschte in Richtung Ausgang, ohne Gero
Beachtung zu schenken. Claudius blickte kurz auf, und Gero erhielt mit einem kaum merklichen Nicken die Erlaubnis, die Räumlichkeiten
seines Vorgesetzten zu betreten.
Komtur Henri d’Our war eine drahtige Erscheinung mit grau schimmernden Augen, die einem Leitwolf gleich in ständiger Wachsamkeit
leuchteten und einer Hakennase, die aussah wie der Schnabel eines Falken. Zudem sorgte seine Größe von fast sieben Fuß dafür,
dass man ihm uneingeschränkte Aufmerksamkeit entgegen brachte. Das dichte, weiße Haar war kurz geschnitten und voller Wirbel,
was ihn auf eine sympathische Art und Weise unvollkommen erscheinen ließ. Darüber hinaus verfügte er über einen unbeugsamen
Charakter und einen scharfen Verstand. Sein Herz war erfüllt von einem unnachahmlichen Sinn für Gerechtigkeit und – wenn es
die Situation erlaubte – einer eigentümlichen Art von Humor.
Das Arbeitszimmer des Mannes, der sich als Herr über mehr als hundert Bewohner der hiesigen Komturei bezeichnen durfte, war
nicht besonders groß. Die zwei kleinen Fenster zum Hof waren nicht verglast, sondern wurden im Bedarfsfall mit geölten Ziegenhäuten
verhangen, durch die zwar kaum Licht herein drang, die aber wenigstens die Kälte abhielten. Das Mobiliar erschien karg wie
überall in der Komturei; ein Bett, ein Tisch mit vier Stühlen, eine schmucklose Kommode.
Gero trat einen Schritt zurück, straffte seine Schultern und legte die Arme an den Körper an, dabei hob er kaum merklich den
Kopf und sah seinem Vorgesetzten fest in die Augen. »Gott sei mit Euch, Sire!«, salutierte er. Dann überreichte er seinem
Komtur die sorgsam gehütete Botschaft.
»Und mit Euch Bruder Gerard«, erwiderte d’Our freundlich, während er das gesiegelte Pergament entgegen nahm. »Schließt die
Tür! Ich habe etwas mit Euch zu besprechen.« An den angespannten Gesichtszügen seines Vorgesetzten glaubte Gero zu erkennen,
dass etwas nicht in Ordnung sein konnte. Und er sprach deutsch. Etwas, das Gero in den drei Jahren, die er der Komturei angehörte
nur einmal erlebt hatte – |22| anlässlich des Besuches seines Vaters, Richard von Breydenbach, der mit d’Our 1291 zusammen in Akko, im Heiligen Land, gekämpft
hatte.
Zügig erbrach Henri d’Our, der dem Herzogtum Lothringen entstammte, das Siegel und überflog den Inhalt.
»Setzt Euch«, sagte er zwischen zwei Zeilen. »Unsere Unterredung wird etwas Zeit in Anspruch nehmen.«
Nachdem Gero sich niedergelassen hatte, ließ er seinen Blick durchs Zimmer schweifen. Auf einem Wandregal stand ein aufwendig
verzierter Sarazenendolch, in einer Art Halterung befestigt, die es ermöglichte, das mit Juwelen geschmückte Geschenk eines
sarazenischen Emirs von allen Seiten zu betrachten. Darüber hing, auf einem Holzbrett aufgezogen, eine aus Ziegenleder gefertigte,
handgemalte Karte des östlichen mittelländischen Meeres. Zwei orientalische Teppiche, die den Steinboden bedeckten, waren
neben den anderen Gegenständen die einzigen Luxusgüter, die sich der Komtur von Bar-sur-Aube aus seiner Dienstzeit im Outremer
– den verlorenen Templerbesitzungen im Heiligen Land – zurückbehalten hatte.
D’Our ging zum Kamin und legte das Pergament sorgsam ins Feuer.
Gero fragte sich verwundert, was da vor sich ging. Papier und Pergament waren teuer, und in der Komturei wurde größter Wert
auf kontinuierliche und saubere Aufzeichnungen gelegt, die man auf Jahre hinaus archivierte, und er konnte sich mit bestem
Willen nicht erinnern, dass je etwas davon vernichtet worden
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