Das Rätsel der Templer - Roman
stieß einen anerkennenden Pfiff aus, den die jungen Frauen
mit einem hinreißenden Lächeln belohnten.
»Er hat mich angeschaut«, rief eines der Mädchen und presste selig die Hände vor die Brust.
»Ich sagte es doch«, ließ eine zweite mit entzückter Miene verlauten, »der Kerl, der die Truppe führt, hat Augen so blau wie
der Himmel.«
»Der mit den braunen Locken wäre mir lieber…« hallte es den Reitern hinterher.
Gelächter brandete auf. Es kam nicht von den Frauen, sondern von den nachfolgenden Kameraden.
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Vielleicht hatte Vater Augustinus, der ordenseigene Kaplan doch Recht
, dachte Gero und sah im Geiste den verhärmten Geistlichen vor sich, wie er in der sonntäglichen Kapitelversammlung an die
Moral der Ordensritter appellierte:
»Wir halten dafür«
, zitierte der Vater stets mit sauertöpfischer Miene,
»dass es einem jeden Ordensmann gefährlich ist, das Angesicht einer Frau zu sehr zu betrachten, und daher nehme sich keiner
von den Brüdern heraus, eine Witwe, eine Jungfrau, seine Mutter, seine Schwester, seine Tante oder irgendeine andere Frau
zu küssen. Die Ritterschaft Christi soll also Frauenküsse fliehen, durch welche die Männer öfters in Gefahr zu kommen pflegen,
damit sie mit reinem Gewissen und in sicherem Leben allezeit im Angesicht Gottes zu verbleiben imstande sind.«
Der Spott, den manche Kameraden verlauten ließen, sobald Augustinus sich außer Reichweite befand, hallte ebenso in Geros Gedanken
wider.
Wer sagt denn, dass man die Frauen küssen muss, bevor man sich mit ihnen vergnügt … und ins Gesicht schauen muss man ihnen
dabei auch nicht unbedingt.
Gewöhnlich folgte grölendes Gelächter, und Gero konnte nur ahnen, wie viel persönlich Erlebtes daraus sprach.
Francesco de Salazar, Geros Nebenmann, schnalzte mit der Zunge und grinste ihn an, als ob er seine Gedanken erraten hätte.
Einen Augenblick lang schloss Gero die Lider. Vielleicht weil ihn das tief stehende Licht der Nachmittagssonne blendete, vielleicht
aber auch, um sein Gewissen zu reinigen. Als er sie wieder öffnete, blies der Wachhabende auf dem Turm der Komturei einmal
kurz und einmal lang in ein Horn. Den Sergeanten unten im Hof war dies ein Zeichen, sogleich die schweren Eichentore zu öffnen.
Fließend tauchte der Trupp in den langen, kühlen Schatten der hohen Festungsmauern ein. Die Hufeisen der schweren Schlachtrösser
donnerten über die quadratischen Pflastersteine, bevor das Geräusch schließlich verebbte, als die Reiter vor den Stallungen
endgültig zum Stillstand kamen.
»Absitzen!«, befahl Gero lautstark, und fast synchron schwangen sich die überwiegend großen und breitschultrigen Männer aus
ihren Sätteln.
Auf dem Hof herrschte reges Treiben. Zwischen umhereilenden Knechten und Mägden strömte eine Schar junger Bewunderer herbei. |20| Knappen im Alter von elf bis achtzehn Jahren, die bereit standen, für ihre Chevaliers das Abschirren und Versorgen der Pferde
zu übernehmen.
Matthäus von Bruch, ein schmächtiger, zwölfjähriger Lockenkopf, nahm Gero mit einem strahlenden Lächeln die Zügel des silbergrauen
Percherons ab. Währenddessen entledigte sich sein Herr der eisenbeschlagenen Plattenhandschuhe und fuhr mit einer ruppigen
Geste über den wuscheligen Kopf seines Knappen.
»Na, Mattes, alles klar?«
Matthäus nickte selig und führte den riesigen Kaltblüter zu den Tränken. Gero marschierte indes mit seinen Kameraden auf die
Mannschaftsräume am anderen Ende des Innenhofes zu. Noch bevor sie die Unterkünfte erreichten, scherte er aus und genehmigte
sich trotz seiner Eile rasch zwei Kellen Wasser aus einem der Holzeimer, die halbgefüllt am Brunnen standen. Danach hastete
er mit der gesiegelten Pergamentrolle in der Linken im Laufschritt die steile Außentreppe eines dreistöckigen Sandsteingebäudes
hinauf. Auf einem schmalen Absatz im ersten Stock machte er halt und öffnete unter einem leisen Knarren eine schwere, nach
innen aufgehende Eichentür. Während er den langen, düsteren Gang entlang ging, überprüfte er mit einer ordnenden Geste den
Sitz seiner Chlamys, jenes legendären Umhangs aus ungebleichter, heller Wolle, der nur von Rittern getragen werden durfte,
die dem Tempelherrenorden ein lebenslanges Gelübde geschworen hatten.
Am Ende des Flures erwartete ihn Bruder Claudius. Mit dem Blick eines Adlers, der unvorsichtigen Kaninchen auflauert, registrierte
der junge, in braun gewandete Bruder der
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