Das Rattenloch
Chance haben, das wusste ich schon jetzt, obwohl ich die Gestalt noch nicht genau sah. Ohne es zu wollen, wichen wir beide zurück. Es war mehr aus einem Reflex geboren, und doch kamen wir nicht weit, denn wir stießen mit unseren Hacken gegen weiche Rattenkörper.
Die Bewacher waren da.
Und ihr König kam.
Wir hatten uns darauf einstellen können, aber trotzdem erwischte uns der Schock. Es war eine Ratte. Ein immenses Gebilde mit hohen Beinen und einem ebenso hohen Körper. Wir sahen die großen, dunklen Augen, die lange Schnauze, die nur leicht geöffnet war. Aus ihr drang uns der feuchte, warme und auch leicht stinkende Atem entgegen, der uns die Luft raubte. Sie war so groß, dass wir auf ihrem Rücken hätten reiten können. Eine Mutation, wie man sie höchstens nur im Film sah. Hier war den Wissenschaftlern einiges aus dem Ruder gelaufen. Mit einem derartigen Misserfolg der Gentechnik hatten sie bestimmt nicht gerechnet.
Das Fell sah dunkel aus. Es schimmerte zudem feucht. An der Schnauze sprühte Geifer, und in den Augen sah ich einen Ausdruck, dessen Aussagekraft ich nicht begriff.
War es Hass?
Konnte ein Tier tatsächlich hassen und dies auch äußerlich zeigen? Ich wusste es nicht, aber in diesen so schrecklichen Augenblicken kam es mir so vor.
Es war still um uns herum, und so hörte ich meinen heftigen Herzschlag. Maxine war noch bei mir. Sie klammerte sich jetzt mit beiden Händen fest. Gemeinsam schauten wir zu, was Florence unternahm. Für sie war das Monster ihr Ein und Alles.
Ich riskierte einen Blick zurück.
Hinter uns hatten sich die anderen Ratten aufgebaut. Sie versperrten uns den Fluchtweg. Sie warteten nur darauf, sich auf uns stürzen zu können.
Die Riesenratte war jetzt so nahe herangekommen, dass uns ihr Gestank kaum noch atmen ließ.
Florence ging vor. Sie breitete die Arme aus, als wollte sie das Wesen umfassen, um ihm Zuneigung zu zeigen. Vor der riesigen Schnauze blieb sie stehen. Mit beiden Händen streichelte sie das verdammte Maul bis hoch zu den Augen.
Das Tier fühlte sich unter den Berührungen sauwohl. Wäre es eine Katze gewesen, hätte es zu schnurren begonnen. Diese Laute drangen nicht hervor, dafür ein Keuchen. Jede Kreatur drückte ihr Wohlbefinden eben anders aus.
Flo trat zurück. Sie flüsterte der Mutation etwas zu.
Die Ratte hatte verstanden.
Sie öffnete ihre Schnauze.
»Ja«, schrie Florence und trat zur Seite. »Da – da, schaut genau hin, denn das ist euer Tor zur Hölle.«
Es war hell genug, um die Zähne erkennen zu können. Ach, was heißt Zähne? Es waren Reißer, es waren unterschiedlich große. Aber alle spitz. Vorn in den beiden Gebisshälften waren sie länger als hinten. Dort saßen die kompakteren, mit denen die Beute zerknackt werden konnte. Auch von mir würden nur Knochen Zurückbleiben, wenn es denn so kam.
»Du bist der Erste, Sinclair...«, Florence rieb ihre Hände gegeneinander. »Sie wird dich holen. Du kannst nicht fliehen.« Dann schaute sie Max an. »Schwesterchen, es ist besser, wenn du dich zurückziehst, sonst kann ich für nichts garantieren.«
»Ich bleibe.«
»Willst du mit ihm zusammen sterben? Bist du so verliebt? Wollt ihr als Paar in den Tod gehen?«
Es war gut, dass die beiden sich unterhielten. So war Florence von mir abgelenkt.
Diesmal störte mich niemand, als ich die Beretta hervorholte. Ich legte auf Florence an und sagte mit genügend lauter Stimme: »Keiner von uns wird von deinem verdammten Monster gefressen werden...«
***
Zunächst passierte nichts. Florence starrte die Waffe an, als wäre sie nicht vorhanden, aber doch irgendwie präsent. Sie kam mir vor, als würde sie das Schießeisen gar nicht als ein solches erkennen. Vielleicht lag es auch daran, dass sie von meiner Aktion zu überrascht worden war, um zu einem klaren Gedanken fähig zu sein.
»Ha!«, sagte sie.
»Wenn es sich bewegt, Florence, schieße ich dir eine Kugel genau in den Kopf!«
Die Frau sagte nichts. Sie starrte mich nur an. Sie wusste auch nicht, ob sie etwas sagen wollte oder nicht. Neben ihr stand die Riesenratte, auf der anderen Seite lauerte ich und bedrohte sie mit einer Waffe. Sie musste sich entscheiden.
»Du willst mich töten?«
»Ja.«
»Das schaffst du nicht!«
»Bist du kugelfest?«
Ihr Blick irrte zwischen Max und mir hin und her. »Ha«, sagte sie dann, »ihr braucht mich noch. Ihr braucht mich beide, denn wenn ich sterbe, ist niemand mehr da, der noch Macht über die Ratten hat. Sie würden sich auf
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