Das Strandhaus
1. Kapitel
Sommer 1956
»Hey, stell das Radio lauter«, sagte Maria. »Ich liebe diesen Song!«
Amy, die neben ihrer Freundin auf der Stranddecke lag, streckte träge den Arm aus und drehte den Knopf an dem roten Plastikradio. »Sh-Boom Sh-Boom«, dröhnte es aus dem Lautsprecher.
»Sh-Boom Sh-Boom Sh-Boom.«
»Einfach toll, dieser Text«, meinte Amy kichernd. »Wer singt das?«
»The Crewcuts«, erklärte Maria mit geschlossenen Augen hinter ihrer pinkfarbenen Sonnenbrille. »War die erste Single, die ich gekauft habe, als ich meinen 45er-Plattenspieler bekam.« Sie öffnete die Augen und stützte sich auf die Ellenbogen. »Kannst du es nicht noch lauter stellen?«
Amy schüttelte den Kopf, und ihre kurzen blonden Locken fingen das goldene Licht der Nachmittagssonne ein. »Die Batterien sind fast leer.«
»Sh-Boom Sh-Boom. Yadadada.«
»Es ist so toll!«, schwärmte Maria. »Ich habe den Titel wieder und wieder gespielt, so oft, bis die Nadel abgenutzt war und die Platte weiß wurde.«
Amy schaute blinzelnd zu ihrer Freundin hoch. »Mein Dad würde mich niemals eine Rock’n’Roll Platte kaufen lassen«, sagte sie missmutig. Sie fummelte an den Trägern ihres Badeanzugs herum. Amy war klein und ziemlich dünn, mit einer knabenhaften Figur, und der blau-weiß-geblümte Einteiler war etwas zu groß für sie. »Dad findet, es ist einfach nur Krach.«
»Sh-Boom Sh-Boom.«
Die beiden Mädchen legten sich wieder auf ihrer Stranddecke zurecht und genossen die warme Sonne, während sie sich den Rest des Songs anhörten. Vor ihnen rollten die blaugrünen Wellen des Ozeans sanft plätschernd auf dem Sand aus. Kinder kreischten fröhlich und rannten am Strand hin und her. Ein paar Schwimmer testeten das Wasser, das immer noch winterlich kalt war.
Maria spürte die Sonne auf ihren Schultern brennen. Ich sollte mehr Sonnenschutzlotion auftragen, dachte sie. Aber sie war heute zu faul zu allem. Sie hatte keine Lust, irgendetwas zu tun.
Der Song endete, und die flotten Sprüche des Discjockeys plärrten aus dem kastenförmigen tragbaren Radio. »Und jetzt die Singende Superröhre, Miss Patti Page.«
»Moonlight in Vermont« ertönte. Amy drehte die Lautstärke herunter.
»Und das den ganzen Sommer lang«, meinte Maria träumerisch. Sie seufzte zufrieden. »Nicht schlecht, was?«
»Ich glaube, es lässt sich aushalten«, erwiderte Amy.
»Einfach nur am Strand faulenzen, im Meer schwimmen und die Stadt unsicher machen.« Lächelnd zog Maria das Gummiband fester, das ihren Pferdeschwanz zusammenhielt. Sie hatte glattes, seidiges schwarzes Haar, das sie fast immer zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug. Ihr voller, gerade geschnittener Pony fiel glatt in die Stirn und endete zwei Zentimeter über ihren braunen Augen.
»Vergiss Ronnie nicht«, sagte Amy und griff nach der Flasche mit der Sonnenschutzlotion. »Ronnie ist auch für den ganzen Sommer hier in Dunehampton.«
»Du hast es gut«, meinte Maria seufzend.
Amy und Ronnie gingen jetzt seit beinahe einem Jahr fest miteinander. Maria fand, die beiden waren ein drolliges Pärchen. Ronnie war so groß und schlaksig, dass er sich praktisch herunterbeugen musste, um mit der kleinen Amy zu sprechen. Er nannte Amy »Maus«, ein Spitzname, den sie hasste. Maria musste jedoch insgeheim zugeben, dass die kleine, magere Amy mit ihren kurzen blonden Locken, den graublauen Augen und der winzigen Knopfnase tatsächlich Ähnlichkeit mit einer Maus hatte.
Einer niedlichen Maus.
Maria gab sich alle Mühe, nicht neidisch auf Amy zu sein, aber es fiel ihr schwer. Maria hatte keinen Freund. Tatsache war, dass sie trotz ihres dunklen, exotischen Aussehens und ihres lustigen, überschäumenden Temperaments noch nie fest mit irgendjemandem gegangen war.
Aber wer weiß, dachte sie sehnsüchtig, als sie an ihrer Freundin vorbeiblickte und den breiten, hellen Sandstrand voller sonnenhungriger Leute betrachtete. Vielleicht wird sich ja diesen Sommer einiges ändern.
Sie und ihre Tante waren vor einer Woche in Dunehampton angekommen, und Maria hatte bereits zwei Jungs kennen gelernt, die sich für sie zu interessieren schienen.
Da war als Erstes Buddy. Sie hatte Buddy an ihrem ersten Tag am Strand getroffen. Er war einfach neben ihr aufgetaucht, scheinbar wie aus dem Nichts. Er wirkte irgendwie verloren, also hatte Maria angefangen, sich mit ihm zu unterhalten.
Sie hatten sich auf Anhieb verstanden. Buddy sah gut aus, aber er war schüchtern und wirkte verlegen. Und ein
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